§62
Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik
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Substantive und Pronomina als Prädikat: „Nominalsätze“
(1) Begriffsbestimmung und Bedeutung
Neben Verben (§34–§46), Adverbialphrasen (Präposition+Substantiv oder Adverb; §49–§50) und Adjektiven (§57), können auch Substantive wie ‘Gott’ als ein Satzprädikat fungieren. Im Deutschen ist dabei immer eine Form des Hilfsverbs ‘sein’ nötig, z.B. Du bist ein Gott. Anders als im Deutschen, ist im Ägyptischen – wie in vielen anderen Sprachen der Welt – kein Hilfsverb ‘sein’ nötig. Diese Sätze werden üblicherweise als „Nominalsätze“, das Prädikatssubstantiv als „Prädikatsnomen“ bezeichnet.
Nominalsätze machen Identitätsaussagen (z.B. ‘Re ist der Herr des Himmels’) oder Kategorisierungsaussagen (z.B. ‘Re ist ein Gott’). Die Zeitlage ist unmarkiert und wird aus dem Kontext erschlossen.
(2) Konstruktionen und Gebrauch
Für pronominale Prädikatsnomen oder Subjekte (dtsch. ‘Du bist ein Gott.’, ‘Der Dieb bist du.’) werden die Selbständigen Personalpronomina (jnk, ntk, ntṯ, …; §61) genutzt. Im Kern sind drei Nominalsatzmuster zu unterscheiden:
a) Die zwei beteiligten Substantive können in bestimmten Fällen (dazu unten §63) einfach direkt hintereinander gestellt werden, z.B.:
𓏌𓎡𓇳𓏤𓀭 jnk Rꜥ(w) ‘Ich bin Re’, 𓇓𓅱𓏏 𓇳𓏤𓀭 swt Rꜥ(w) ‘Er ist Re’, 𓊽𓊽𓇋𓏛𓀀 𓂋𓈖𓆑 Ḏdj rn⸗f ‘Djedi war sein Name’, (Schenkel 2012: 150) 𓅓𓂝𓎡𓏏𓏛𓏏𓅓𓂝𓎡𓏏𓏛𓂋𓂝𓇳𓀭 mk.t⸗ṯ mk.t-Rꜥ(w) ‘Dein Schutz ist der Schutz des Re’. (Allen 2010: 74)
In diesen Fällen spricht man von „Zweigliedrigen Nominalsätzen“.
Bei den zwei anderen Satzmustern kommt ein unveränderliches Hilfsdemonstrativum 𓊪𓅱 pw zum Einsatz (demonstrativische „Kopula“):
b) Im ersten der zwei Satzmuster ist dies, je nach Kontext, im Deutschen mit einem unspezifischen ‘das’ oder ‘es’ oder mit einem unbetonten Personalpronomen ‘er, sie, es (Singular); sie (Plural)’ zu übersetzen, z.B.:
𓐍𓆑𓏏𓏭𓀐 𓊪𓅱 ḫftï pw ‘Das/Es/Er ist ein Feind’ (entsprechende Frage: ‘Wer ist er/das?’), 𓎟𓊪𓏏𓇯𓊪𓅱 nb-p.t pw ‘Das/Es/Er ist der Herr des Himmels’, 𓏌𓏏𓇯𓊪𓅱 Nw.t pw ‘Das/Es/Sie ist Nut’ (entsprechende Frage: ‘Wer ist sie/das?’), 𓌢𓈖𓏌𓅱𓀀𓏥𓋴 𓊪𓅱 sn.w⸗s pw ‘Das/Es/Sie sind ihre Brüder’ (entspr. Frage: ‘Wer sind sie/die?’).
Dieser spezielle Zweigliedrige Nominalsatz wird auch als „pw-Satz“ bezeichnet.
c) Dasselbe unveränderliche Hilfsdemonstrativum 𓊪𓅱 pw taucht ebenfalls in den meisten anderen Nominalsätzen auf, in denen zwei verschiedene Substantive Subjekt und Prädikatsnomen bilden. In diesen Nominalsätzen bleibt das Hilfsdemonstrativum effektiv unübersetzt., z.B.:
𓊪𓄡𓂋𓏏𓄴𓏸𓊪𓅱𓋹𓈖𓐍 pẖr.t pw ꜥnḫ ‘Das Leben ist ein Kreislauf’. (Allen 2010: 74)
In diesen Fällen spricht man von „Dreigliedrigen Nominalsätzen“.
Man bemerke, dass das Hilfsdemonstrativum pw im Mittelägyptischen – anders als das normale attributiv gebrauchte Demonstrativum pw/tw/nw (§30) – unveränderlich ist. Egal welches Genus und welchen Numerus das Subjekt bzw. das Prädikatsnomen haben: die Form ist immer pw (𓊪𓅱, 𓊪𓏲). (Im Altägyptischen kann man hier gelegentlich noch Kongruenz mit dem Prädikatsnomen feststellen.)
(3) Morphosyntaktisch setzt sich das pw im pw-Satz und im Dreigliedrigen Nominalsatz in der Regel hinter das erste Wort – genauer gesagt, steht pw hinter der ersten untrennbaren Worteinheit. Nicht trennbare Einheiten sind Substantiv + Suffixpronomen (§29) und Verbindungen des Direkten Genitivs (§26). Trennbar sind hingegen Verbindungen von Substantiv und attributiven Adjektiven (§55) und von Substantiv und Indirektem Genitiv (§26). In diesen Fällen steht das pw dann nicht nach, sondern zwischen Substantiv und Attribut (Adjektiv bzw. Indirekter Genitiv). Vergleiche die folgenden (konstruierten) Beispiele:
(*[zẖꜣ(w) jqr] pw →)
zẖꜣ(w) pw jqr𓏟𓀀𓊪𓅱𓇋𓈎𓂋𓏜 ‘Das ist ein geschickter Schreiber’, (*[zẖꜣ(w) jqr] pw [sn⸗f] →)
zẖꜣ(w) pw jqr sn⸗f𓏟𓀀𓊪𓅱𓇋𓈎𓂋𓏜𓌢𓈖𓀀𓆑 ‘Sein Bruder ist ein geschickter Schreiber’, (*[nb n(.ï) p.t] pw →)
nb pw n(.ï) p.t𓎟𓊪𓅱𓈖𓊪𓏏𓇯 ‘Das ist der Herr des Himmels’, (*[nb n(.ï) p.t] pw [Rꜥ(w)] →)
nb pw n(.ï) p.t Rꜥ(w)𓎟𓊪𓅱𓈖𓊪𓏏𓇯𓂋𓂝𓇳𓀭 ‘Re ist der Herr des Himmels’.
Verbindungen von Substantiv plus Suffixpronomen oder eine Direkter Genitiv-Verbindung kann das pw aber nicht aufbrechen:
nb-p.t pw Rꜥ(w)
(nicht **nb-pw p.t Rꜥ(w))𓎟𓊪𓏏𓇯𓊪𓅱𓂋𓂝𓇳𓀭 ‘Re ist der Herr des Himmels’, nb⸗j pw
(nicht **nb pw ⸗j Rꜥ(w))𓎟𓀀𓊪𓅱 ‘Das ist mein Herr’, (*[nb pn nfr]<supr>NP</supr> pw →)
nb pn pw nfr
(nicht **nb pw pn nfr).𓎟𓊪𓈖𓊪𓅱𓄤𓆑𓂋 ‘Das ist dieser gute Herr’.
Literaturhinweise
Allen (²2010: ch. 7.1, 7.6–11, 7.16); Schenkel (⁵2012: Kap. 6.1)
Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).
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Daniel A. Werning. 19.6.2018. "§62", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A762%26oldid=296 (Zugriff: 28.11.2024).
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