§83
Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik
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Die finiten „Nominalen Verbalformen“
(1) Begriffsklärung und Form
Die sog. „Nominalen Verbalformen“ sind eine Besonderheit des Ägyptischen. Ihr Einsatzbereich lässt sich kurz kaum mit einfachen Worten beschreiben.
Unten wird gezeigt, dass sie – linguistisch gesprochen – verwendet werden:
- als Verbalform in syntaktisch nominalen/substantivischen Satzbau-Stellen („nominaler paradigmatischer Slot“);
- als initiale, morphologisch nominale, aber funktional adverbiale Nebensätze („initiale Konverben“);
- als sekundäres Rhema in dem als „Emphatische Konstruktion“ benannten Verbalsatz.
Substantiell handelt es sich wohl jeweils um die nicht-flektierten Varianten entsprechender Relativformen (zu diesen erst später in §101).
Im Mittelägyptischen werden im Wesentlichen nur zwei Nominalformen (Abk. „Nf.“) häufig genutzt:
- die Imperfektive Nominalform (= der Nominale Imperfektiv) sḏm(⸗f) / jrr(⸗f) und
- die Anteriore Nominalform (= der Nominale Anterior) sḏm.n(⸗f).
- Nur noch sporadisch kommen vor:
- die Neutrale Nominalform sḏm(⸗f) / jr(y)(⸗f) und
- die Posteriore Nominalform (/ der Nominale Posterior) sḏm(.y)(⸗f) / jr(j.y)(⸗f).
Die Imperfektive Nf. ist bei Verben IIIae infirmae und einigen Verben IVae infirmae klar durch eine „Reduplikation“ des vorletzten Konsonanten gekennzeichnet: jr(j) ‘machen’ → jrr(⸗f) ‘dass (er) macht’. Die Anteriore Nf. sieht bei fast allen Verben genauso aus wie der normale Anterior. Die folgende Tabelle gibt die Morphologie der Nominalen Verbalformen im Vergleich mit anderen aktiven Suffixkonjugationsformen wieder:
Stark | IIae geminatae | IIIae infirmae | rḏ(j) | jw(j)/jj(j) |
---|---|---|---|---|
Imperfektive Nominalform sḏm(⸗f) / jrr(⸗f) | ||||
𓄔𓅓 | 𓄿𓅓𓅓𓂬 | 𓁹𓂋 | 𓂞𓂞 | 𓂻𓅱𓅱 ~ 𓂻𓅱 |
sḏm | ꜣmm | jrr (redupliziert!) | ḏḏ (redupliziert!) | jww ~ jw(w) |
‘dass hört’ | ‘dass packt’ | ‘dass macht’ | ‘dass gibt’ | ‘dass kommt’ |
Vergleiche: | ||||
Imperfektiv sḏm(⸗f) / jr(j)(⸗f) | ||||
𓄔𓅓 | 𓄿𓅓𓅓𓂬 | 𓁹 | 𓂞 | 𓂻𓅱 ~ 𓇍𓇋𓂻 |
Posterior sḏm.w(⸗f) / jr(y).w(⸗f) | ||||
𓄔𓅓 | 𓄿𓅓𓅓𓂬 | 𓁹𓅱 ~ 𓁹𓇋𓇋 ~ 𓁹 | 𓂋𓂞 | 𓂻𓅱 |
Subjunktiv sḏm(⸗f) / jr(y)(⸗f) | ||||
𓄔𓅓 | 𓄿𓅓𓂬 | 𓁹 ~ 𓁹𓇋𓇋 | 𓂞 | 𓂻𓅱𓏏 |
Perfektiv sḏm(⸗f) / jr(j)(⸗f) | ||||
𓄔𓅓 | 𓄿𓅓𓂬 | 𓁹 | 𓂋𓂞 | 𓇍𓇋𓂻 ~ 𓂻𓅱 |
Anteriore Nominalform sḏm.n(⸗f) / jr(j).n(⸗f) | ||||
𓄔𓅓𓈖 | 𓄿𓅓𓅓𓂬𓈖 | 𓁹𓈖 | 𓂋𓂞𓈖 | 𓇍𓇋𓂻𓈖 ~ 𓂻𓅱𓈖 |
sḏm.n | ꜣmm.n | jr(j).n | rḏ(j).n | jj(j).n ~ jw(j).n |
‘dass gehört hat’ | ‘dass gepackt hat’ | ‘dass gemacht hat’ | ‘dass gegeben hat’ | ‘dass gekommen ist’ |
Sonderphänomen bei Verben ultimae n (siehe unten): | ||||
𓇋𓏠𓈖𓀄(𓈖) | 𓌴𓁹𓄿𓈖 | |||
jmn(.n) ~ jmn.n | mꜣ(n).n (~ mꜣꜣ.n) | |||
‘dass verborgen hat’ | ‘dass gesehen hat’ | |||
Vergleiche: | ||||
Anterior sḏm.n(⸗f) / jr(j).n(⸗f) | ||||
𓄔𓅓𓈖 | 𓄿𓅓𓂬𓈖 | 𓁹𓈖 | 𓂞𓈖 ~ 𓂋𓂞𓈖 | 𓇍𓇋𓂻𓈖 ~ 𓂻𓅱𓈖 |
Besonderheiten
Die Anteriore Nf. von Verben ultimae n wird optional mit nur einem n geschrieben, da der Stammauslaut und das Tempus-Suffix-Konsonant direkt zusammenstoßen (Schenkel 2009). Beispiel: nominales jmn.n */jaminna/ entweder 𓇋𓏠𓈖𓀄 jmn(.n), oder voll 𓇋𓏠𓈖𓀄 jmn.n. In der Regel ist es das zweite n, d.h. das nach dem Klassifikator stehende Tempus-Suffix, das wegfällt. Das Phänomen gibt es beim „normalen“ Anterior nicht, da die betreffenden Konsonanten dort nicht direkt zusammenstoßen (jmn.n **/jamnána/: immer 𓇋𓏠𓈖𓀄𓈖).
Die Anteriore Nf. von mꜣꜣ wird unerwarteterweise wie der „normale“ Anterior einfach 𓌴𓁹𓄿𓈖 geschrieben. Dahinter steht möglicherweise eine Formbildung mit dem Alternativ-Stamm mꜣn statt mꜣꜣ, der auch im Subjunktiv und Infinitiv als Alternative belegt ist (§33, §92). In der Anterioren Nf. wären dann die zwei aufeinander stoßenden n regulär nur einfach geschrieben: *maꜣinna mꜣ(n).n 𓌴𓁹𓄿𓈖 (oberflächlich gleich, aber sprachlich unterschieden von „normalen“ Anterior **maꜣꜣana mꜣ.n 𓌴𓁹𓄿𓈖).
(2) Funktion und Bedeutung
Bei den Nominalen Verbalformen sind funktional drei Fälle zu unterscheiden:
i) der Gebrauch als Verben in syntaktisch nominalen/substantivischen Satzpositionen (dazu unten §84), z.B. anstelle von Substantiven als Subjekt oder Objekt von Sätzen, oder anstelle von Substantiven nach Präpositionen (Präpositionalkonjunktionen), u.a.m.:
𓁹𓈖𓋴 … jr(j).n⸗s ‘(Ich weiß,) dass sie gehandelt hat’ 𓁹𓂋𓋴 … jrr⸗s ‘(Ich weiß,) dass sie handelt’
ii) der Gebrauch als thematisches Prädikat in der sog. „Emphatischen Konstruktion“ direkt am Satzanfang, d.h. insbesondere ohne Satzpartikel davor (dazu unten §85).
𓁹𓈖𓋴 jr(j).n⸗s … ‘(Unter dem Umstand so-und-so) hat sie gehandelt.’ 𓁹𓂋𓋴 jrr⸗s … ‘(Unter dem Umstand so-und-so) handelt sie’;
‘(Unter dem Umstand so-und-so) soll sie handeln’.
iii) der Gebrauch als initialer Nebensatz, auch hier insbesondere ohne Satzpartikel davor (dazu unten §86):
𓁹𓈖𓋴 jr(j).n⸗s … ‘Nachdem sie gehandelt hat, (passierte das-und-das)’ 𓁹𓂋𓋴 jrr⸗s … ‘Während sie handelt, (passiert das-und-das)’
(3) Negation
Die Nominalen Verbalformen selbst können nicht mit 𓂜 n(j) oder 𓂜𓈖 nn negiert werden. Stattdessen wird anders formuliert, indem man die Nominale Verbalform des Negationsverbs 𓏏𓍃 / 𓏏𓍃𓂜 tm (‘nicht tun’) bildet und das „eigentliche“ Verb in der Form des Negativkomplements (§77) anhängt:
𓏏𓍃𓈖𓆑𓁹 tm.n⸗f jr(j.w) i) ‘dass er nicht gehandelt hat’, analog Gebrauchsweisen ii) und iii); 𓏏𓍃𓆑𓁹 tm⸗f jr(j.w) i) ‘dass er nicht handelt’, analog Gebrauchsweisen ii) und iii).
Man beachte, dass das mit 𓏏𓍃 tm negierte nominale tm.n(⸗f) sḏm(.w) anders als das mit 𓂜 n(j) negierte verbale n(j) sḏm.n(⸗f) (§46) seine anteriore Bedeutung nicht „verliert“. Zu Beispielen vgl. §85.
Die Reihenfolge von Subjekt und Negativkomplement ist abhängig von der Art des Subjekts. Wie intuitiv zu erwarten, stehen pronominale Subjekte regulär nach der Form von tm und vor dem Negativkomplement. Nominale Subjekte stehen bemerkenswerterweise erst nach dem Negativkomplement (vgl. den analogen Fall beim Subjunktiv 𓇋𓅓𓂜 jm(j)(⸗f) ‘(er) soll nicht’, §77).
𓏏𓍃𓆑𓁹 tm⸗f jr(j.w) i) ‘dass er nicht handelt’, analog Gebrauchsweisen ii) und iii); aber 𓏏𓍃𓁹𓊹𓏤 tm jr(j.w) nṯr i) ‘dass Gott nicht handelt’, analog Gebrauchsweisen ii) und iii).
(4) Passiv
Die Nominalen Verbalformen zählen zu dem Typ der Suffixkonjugationsformen. Auch von ihnen können mittels des Passiv-Suffix 𓏏 ~ 𓏏𓅱 .t(w) ~ .tw passive Formen gebildet werden (§80 (2), §81):
jr(j).n⸗s → jr(j).n.t(w)⸗s i) ‘dass es gemacht wurde’, analog ii) und iii); jrr⸗s → jrr.t(w)⸗s i) ‘dass es gemacht wird’, analog ii) und iii); tm.n⸗s jr(j.w) → tm.n.t(w)⸗s jr(j.w) i) ‘dass es nicht gemacht wurde’, analog ii) und iii); tm⸗s jr(j.w) → tm.t(w)⸗s jr(j.w) i) ‘dass es nicht gemacht wird’, analog ii) und iii).
Literaturhinweise
Schenkel (⁵2012: Kap. 7.3.1.1.2,4,6, 7.3.1.2.1), Schenkel (2009); Allen (²2010: ch. 25.1–2,5,14) Werning (2014b: 312 mit Fn. 5); Schenkel (2009).
Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).
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Daniel A. Werning. 25.6.2018. "§83", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A783%26oldid=374 (Zugriff: 26.11.2024).
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