§85

Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik

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Nominale Verbalformen in der „Emphatischen Konstruktion“

(1) Funktion

In einem normalen Verbalsatz, z.B. ‘Ich habe Johann gestern im Kino getroffen’, liegt oft ein natürlicher informationstechnischer Schwerpunkt auf dem Verb. Die interessanteste, neueste Information, das Rhema (vgl. §63), ist beim unbetont gesprochenen Satz am ehesten die Handlung ‘habe getroffen’ an sich. Ist dem Angesprochenen aber bekannt, dass ich Johann getroffen habe, die interessante, neue Information ist aber wo ich ihn getroffen habe, so muss man im Deutschen den Satzteil ‘im Kino’ besonders betont aussprechen (‘Ich habe Johann gestern im Kino getroffen’). Zusätzlich kann man die betonte Phrase an den Satzanfang stellen (‘Im Kino habe ich Johann gestern getroffen’). Die Phrase ‘im Kino’ wird dann zum Rhema.

Im Ägyptischen gibt es nun eine spezielle Satzkonstruktion, die einen vergleichbaren Effekt erzielt: die sog. „Emphatische Konstruktion“. Diese ermöglicht es, ein verbales Prädikat informationstechnisch aus der Erstrangigkeit in die Zweitrangigkeit zu deklassieren, d.h. quasi zu „de-rhematisieren“, zugunsten einer Adverbialphrase (d.h. eines Adverb, einer Präpositionalphrase oder eines adverbialen Nebensatzes), welche dann zum Haupt-Rhema (d.h. zum informationstechnisch hervorgehobenen Teil des Satzes) wird. (Genau genommen, ist es oft nur ein Teil der Adverbialphrase, die zum Haupt-Rhema wird.)

Das Satzmuster ist insbesondere bei Fragen mit Frageadverbien beliebt (z.B. ṯnw ‘wo?’) und in Fragen, in denen ein Fragepronomen in einer Präpositionalphrase steckt (z.B. ḥr m ‘weswegen? (*wegen was?)’).


(2) Satzstruktur und Beispiele

Die Emphatische Konstruktion hat das Muster

[Nominale Verbalform (+ Aktanten und ggf. Erweiterungen)] [rhematische Adverbialphrase].

Satzpartikeln wie jw, ꜥḥꜥ.n, o.ä. werden mit der Emphatischen Konstruktion nicht verwendet. Lediglich m⸗k ‘Siehe, …’ und jsṯ ‘derweil’ sind belegt. Die Nominale Verbalform steht also hier direkt am Satzanfang.

Beispiele:

a) Rhema ist ein Adverb:

𓇍𓈖‌𓍿𓈖𓏥 𓏏𓈖𓌙𓅯𓈐 (Allen 2010: 381)
jj(j).n⸗ṯn {t}〈ṯ〉n(w)
kommen:nmlr:ant=2pl wo?
Wo seid ihr (her)gekommen?’


b) Rhema ist eine Präpositionalphrase:

𓂞𓂞𓏏𓈖𓏥 𓈖𓆑 𓁷‌𓏤 𓅓𓂝 (Allen 2010: 381)
ḏḏ⸗{t}〈ṯ〉n n⸗f ḥr m
geben:nmlr.ipfv=2pl für=3sg.m wegen was?
Warum gebt ihr ihm (etwas)?’


𓍃𓅓𓎢 𓏏𓂋𓆵 𓄔𓅓 𓁷‌𓏤 𓅓‌𓂝 (Allen 2010: 390)
tm⸗k tr sḏm(.w) ḥr m
nicht_tun:nmlr.ipfv=2sg.m ptkl hören:nkompl wegen was?
Warum hört ihr denn nicht zu?’


𓇍𓈖𓈖𓏥 𓁷‌𓏤 𓎸𓏏𓈗𓇋𓃀𓃙𓉔𓇋𓇋𓏏𓈉 (Allen 2010: 382)
jj(j).n⸗n ḥr ẖnm.t-Jbh.yt
kommen:nmlr:ant=1pl bei Brunnen:f.sg=Ibehit:f
‘Wir sind vom Brunnen von Ibehit gekommen.’
Vom Brunnen von Ibehit sind wir gekommen.’


c) Rhema ist ein adverbieller Nebensatz:

𓁹𓈖 𓍛𓏤 𓈖𓍇‌𓏌𓅱
jr(j).n ḥm(⸗j) nw
tun:nmlr:ant Diener:m.sg=1sg dem.c
𓌴𓁹𓄿𓈖𓀭 𓍿𓅱 𓅓 𓇋𓈎𓂋𓏛 𓋴𓐍𓂋𓏛 (Allen 2010: 383)
mꜣ.n⸗j ṯw m jqr sḫr
sehen:ant=1sg 2sg.m als patent:m.sg Plan:m.sg
(‘Meine Majestät hat dieses getan, (weil) ich dich als einen gesehen habe, der einen patenten Plan hat.’)
Weil ich dich als exzellenten Ratgeber kennengelernt habe, hat Meine Majestät dieses getan.’
(Nach einer, aufgrund der deutschen umgekehrten Satzstellung pragmatisch gebotenen Vertauschung von ‘Meine Majestät’ und ‘ich’ in der Übersetzung:)
Weil Meine Majestät dich als exzellenten Ratgeber kennengelernt hat, habe ich dieses getan.’

(3) Negation

Die Emphatische Konstruktion als Ganzes wird mit der umklammernden Negation 𓂜𓇋𓋴 n(j) … js negiert (wie auch Nominalsätze, vgl. §64). Die Negation umklammert dabei das erste Wort, d.h. die Nominale Verbalform. Der semantische Effekt ist, dass quasi das Rhema der Konstruktion negiert wird. Beispiel:

𓈝𓅓𓈖𓎢 𓋹𓈖𓐍‌𓏏
šm(j).n⸗k ꜥnḫ.t(j)
weggehen:nmlr:ant=2sg.m lebendig:res:2sg
𓂜 𓈝𓅓𓈖𓎢 𓇋𓋴 𓅓‌𓏏𓏱 (Allen 2010: 390)
n(j) šm(j).n⸗k js m(w)t(.tj) *)
neg weggehen:nmlr:ant=2sg.m ptkl tot:res:2sg
Lebendig bist du fortgegangen. Du bist nicht tot fortgegangen.’
*) Da der Stammauslaut des Stamms m(w)t und der Endungsanlaut des Resultativ t(j) direkt zusammenstoßen, ist hier das t nur einmal geschieben: /*mVu̯ttV/ m(w)t(tj).

Soll hingegen nur die Verbalaktion in der Emphatischen Konstruktion negiert werden, so wird die Nominale Verbalform von 𓏏𓍃 tm ‘nicht tun’ plus Verb in der Negativkomplement-Form genutzt (§83). Konstruiertes Beispiel:

𓈝𓅓𓈖𓎢 𓋹𓈖𓐍‌𓏏 𓏏𓍃𓅓𓈖𓎡 𓈝𓅓 𓅓‌𓏏𓏱
šm(j).n⸗k ꜥnḫ.t(j) tm.nk šm(j.w) m(w)t(.tj)
(s.o.) (s.o.) nicht_tun:nmlr:ant=2sg.m weggehen:nkompl tot:res:2sg
‘Als du lebendig warst, bist du fortgegangen. Als du tot warst, bist du nicht fortgegangen.’

(4) Analyse

(Dieser Abschnitt kann ggf. zunächst übergangen werden.)

Die Emphatische Konstruktion lässt sich plausibel aus einem verkürzten verbalen Wechselsatz (siehe oben §84) und damit auch aus der nominalen (adjektivischen/substantivischen) Natur der Nominalen Verbalformen herleiten (Werning 2011, I: §146; Werning 2014b).

Literaturhinweise

Werning (2011, I: §§145–146), Werning (2014b: §5); Allen (²2010: ch. 25.6–10,14); vgl. auch Schenkel (⁵2012: Kap. 8.5.3).

Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).


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Daniel A. Werning. 12.4.2021. "§85", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A785%26oldid=926 (Zugriff: 10.12.2024).

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