§80

Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik

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Passive Verbalformen

(1) Begriffsklärung

In normalen, sog. „aktiven“ Verbalsätzen ist der Täter/Ausführende/Handelnde (das „Agens“) einer Handlung das grammatische Subjekt und das Opfer/der Erleidende (das „Patiens“) einer Handlung das grammatische direkte Objekt. Im Deutschen erkennt man das Subjekt am Kasus Nominativ, das direkte Objekt am Kasus Akkusativ. Im ägyptischen Verbalsatz kann man Subjekt und Objekt nur dann schon rein oberflächlich unterscheiden, wenn es sich um singularische Personalpronomina handelt. Ein pronominales Subjekt erscheint als Suffixpronomen (⸗j, ⸗k, ⸗ṯ, ⸗f, ⸗s), ein Objekt als enklitisches Personalpronomen (w(j), ṯw, ṯn, sw, , st). (Achtung: Pronominale Subjekte vor Verben nach bestimmten Partikeln, wie m⸗k, (§35) und Subjekte von Adjektivalsätze (§57) erscheinen aber als enklitische Personalpronomina.)

Viele Sprachen verfügen über ein morphosyntaktisches Mittel, das Agens ungenannt zu lassen und stattdessen das Patiens zum grammatischen Subjekt zu machen. Man spricht dann von „passiven“ Sätzen (vgl. A. Siewierska, Passive Constructions, 2013, http://wals.info/chapter/107). Vergleiche beispielsweise das deutsche Passiv:

Grammatisches Subjekt
(nominativ)
Gramm. direktes Objekt
(akkusativ)
Der Schäfer (nominativ/agens) ruft (aktiv) den Hund (akkusativ/patiens)
Der Hund (nominativ/patiens) wird gerufen (passiv)

Das Passiv wird normalerweise verwendet, wenn das Agens nicht genannt werden soll oder kann.


(2) Das t(w)-Passiv

Im Mittelägyptischen wird ein Passivsatz gebildet, indem eine Verbalform der Suffixkonjugation (Imperfektiv, Subjunktiv, …) um ein Verbalsuffix -.t(w) erweitert wird:

Gramm. Subjekt Gramm. direktes Objekt
jw njs (aktiv) ⸗j (Suffixpronomen) sw (enklitisches Pron.) ‘Ich rufe ihn.’
jw njs.tw (passiv) ⸗f (Suffixpronomen) Er wird gerufen.’
jw njs (aktiv) mnj.w ṯzm ‘Der Hirte ruft den Hund.’
jw njs.tw (passiv) ṯzm ‘Der Hund wird gerufen.’


Das Passiv-Suffix (gesprochen möglicherweise */ta/) wurde entweder kurz 𓏏 t(w) geschrieben (dann vor dem Verbklassifikator) oder länger 𓏏𓅱, 𓏏𓅱, (𓅱𓏏!),𓏏‌𓏲,𓏏𓏲, (𓏲𓏏!) tw (dann nach dem Verbklassifikator):

𓈖‌𓇋𓋴𓏏𓀞 njs.t(w) ‘soll/wird gerufen werden’ (t(w)-Passiv des Subjunktivs)
𓈖‌𓇋𓋴𓀞𓏏‌𓅱 njs.tw
Beispiele:
[subjekt/patiens: ⸗f]
𓂋𓂝‌𓏏𓆑 𓅓‌𓈎𓄿𓃀𓄲𓏛 𓍲𓈖𓇋𓇋𓏏𓀙𓀀𓏥 (Sinuhe B 280f; Allen 2010: 293)
rḏ(j).t(w)⸗f m-qꜣb šn.yt
geben:post:pass=3sg.m in Inneres:m.sg Höflinge:koll.f
‘Er wird unter die Höflinge platziert werden.’
[subjekt/patiens]
𓂜 𓄔𓅓‌𓏏𓏲 𓂋𓈖𓀀 𓅓 𓂋𓏤𓄙𓅓𓏲𓀁 (Sinuhe B 227f; Allen 2014: 287)
n(j) sḏm.tw rn⸗j m rʾ-wḥm.w
neg hören:pfv:pass Name:m.sg=1sg von Mund:m.sg–Berichterstatter:m.sg
‘Mein Name wurde nicht vernommen aus dem Mund eines Herolds.’
‘Mein Name wurde aus dem Mund keines Herolds vernommen.’


Einen orthographischen Sonderfall stellt das t(w)-Passiv des unregelmäßigen Subjunktivs jnt ‘soll/wird bringen’ dar. Die Form *jnt.tw wird nur mit einem t geschrieben, da das t von jnt und das t des Suffix t(w) zusammenstoßen: aktiv 𓏎‌𓈖𓏏 jnt ‘soll/wird holen’, passiv ebenso 𓏎‌𓈖𓏏 jn(t).t(w) oder 𓏎‌𓈖𓏏𓏲 jn(t).tw ‘soll/wird geholt werden’ (nicht *𓏎‌𓈖𓏏𓏏 oder *𓏎‌𓈖𓏏‌𓏏𓅱).

[indir.obj.] [subjekt/patiens]
𓇋𓅓𓐝𓂝 𓏎‌𓈖𓏏𓏲 𓈖𓀀 𓐍𓈖𓂋𓇋𓍕𓅪𓀀 (Westcar 8:15f; Allen 2010: 305)
jm(j) jn(t).tw n⸗j ḫn{r}j
geben.imp bringen:sbjv:pass dat=1sg Gefangener:m.sg
‘Veranlasst, dass mir ein Gefangener gebracht wird!’



(3) Passiv-Verbformen mit vokalischem Flexionsmuster

Neben den t(w)-Passiven gab es noch einige wenige spezialisierte Passiv-Verbalformen ohne t(w)-Suffix: insbesondere das sḏm(.w)-Passiv“ (alias „Perfektiv-Passiv“) ‘wurde gehört’ und das „Posterior-Passiv“ sḏmm(⸗f) ‘(er) wird gehört werden’. Die folgende Tabelle gibt die Morphologie dieser Formen an:

Stark IIae gem. IIIae infirmae rḏ(j) IVae infirmae
Posterior-Passiv sḏmm(⸗f) / jr(j).w(⸗f)
𓄔𓅓𓅓 𓄿𓅓𓅓𓂬 𓁹 ~ 𓁹𓇋𓇋 ~ 𓁹𓅱 𓂋𓂞 ~ 𓂋𓂞𓅱 𓈖𓇥‌𓂋𓂋𓀜
sḏmm (redupl.!) ꜣmm
(= ꜣm(m)m)
jr(j.w)~jry(.w)
~jr(j).w
rḏ(j.w) ~ rḏ(j).w nḏrr (redupl.!)
‘wird gehört-
werden’
‘wird gepackt
werden’
‘wird gemacht
werden’
‘wird gegeben
werden’
‘wird gepackt
werden’
sḏm(.w)-Passiv
𓄔 ~ 𓄔𓅓𓅱 𓄿𓅓𓂬 𓁹 ~ 𓁹𓇋𓇋 ~ 𓁹𓅱 𓂋𓂞 ~ 𓂋𓂞𓅱 ~ 𓂞 𓈖𓇥𓂋𓀜 ~ 𓈖𓇥𓂋𓅱𓀜
sḏm(.w) ~ sḏm.w ꜣm(.w) jr(j.w)~jry(.w)
~jr(j).w
rḏ(j.w)~rḏ(j).w
~ḏ(j.w)
nḏr(j.w)~nḏr(j).w
‘wurde gehört’ ‘wurde gepackt’ ‘wurde gemacht’ ‘wurde gegeben’ ‘wurde gepackt’

Anmerkung: Die Formen des sḏm(.w)-Passiv sind möglicherweise nicht zufällig mit denen des Resultativ der 3. Person Sg. sḏm.ø und Pl. sḏm(.w) ‘ist gehört’ vergleichbar (§70; vgl. die Forschungen von Elsa Oréal).


Beispiele:
[subjekt/patiens]
𓂜 𓈖𓈞𓅓𓅓 𓁶𓆑 𓅓‌𓂝𓆑 (Schenkel 2012: 228; CT V 62–63b)
n(j) nḥmm dp⸗f m-ꜥ(w)⸗f
neg wegnehmen:post.pass Kopf:m.sg=3sg.m von=3sg.m
‘Sein Kopf wird ihm nicht weggenommen werden.’
[indir.obj.] [subjekt/patiens]
𓅓‌𓂝𓎢 𓄟𓋴𓏯 𓈖𓎢 𓀔𓏲𓀀𓏥 𓏦 (Allen 2010: 297; Westcar 11:5f)
m⸗k ms(j.w) n⸗k ẖrd.w 3
aufm=2sg.m gebären:pfv.pass dat=2sg.m Kind:m.pl 3
‘Siehe, dir wurden drei Kinder geboren.’
‘Siehe, dir sind drei Kinder geboren worden.’
Anmerkung: Die syntaktisch mögliche Alternativ-Lesung *m⸗k ms(j).n⸗k ẖrd.w 3 ‘Siehe, du hast drei Kinder geboren’ ist hier übrigens auszuschließen, da der Angesprochene männlich ist (⸗k).

Literaturhinweise

Schenkel (⁵2012: Kap. 7.3.1.2); Allen (²2010: ch. 21.1–2, 21.15).

Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).


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Daniel A. Werning. 22.6.2018. "§80", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A780%26oldid=325 (Zugriff: 22.11.2024).

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