§70

Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik

Wechseln zu: Navigation, Suche
← zurück §69 weiter §71 →

Der „Resultativ“ sḏm

(1) Bezeichnung

Die zu besprechende Verbform wurde traditionell als „Pseudopartizip/Pseudo-Participle“, „Old Perfective“ oder „Parfait ancien“ bezeichnet, später auch als „Stativ“. Aus allgemeinsprachwissenschaftlicher Perspektive ist die Bezeichnung „Resultativ“ angemessen (Werning 2008: 289, Werning 2011, I: 92). Daran wollen wir uns orientieren.

Der Name „Pseudopartizip“ ist eine innerägyptologische Idiosynkrasie, d.h. eine fachinterne Bezeichnung, die außerhalb des Fachs nicht verstanden wird. „Parfait/Perfekt“ beschreibt das abgedeckte Bedeutungsspektrum ganz gut, ist aber wenig präzise. Die Bezeichnung „Stativ“ trifft zwar eine der Kernbedeutungen der Verbform. Allerdings ist die „stative“ Aktionsart nur ein Teil seines Funktionsumfangs (dazu unten).


(2) Bedeutung

Die Bedeutung des Resultativ entspricht in erster Näherung der deutschen Konstruktion [Form von ‘sein’ + Partizip Perfekt]. Vergleiche:

a) transitives Verb: 𓎁𓏏𓀜𓍘𓇋 jṯ(j).tj ‘sie ist/war genommen, sie wird/möge genommen sein’,
b) intransitives Verb: 𓇍𓇋𓂻𓍘𓇋 jj(j).tj ‘sie ist/war gekommen, sie wird/möge gekommen sein’.

Die Form gibt einen erreichten Zustand wieder. Im Deutschen können wir besonders gut nachvollziehen, welchen besonderen Nebeneffekt der Resultativ dabei semantisch hat. Während die Form bei intransitiven Verben, d.h. solchen, die typischerweise kein direktes Objekt haben (z.B. ‘kommen’), einen aktiv erreichten Zustand (‘Sie ist gekommen’) wiedergibt, beschreibt sie bei transitiven Verben, d.h. solchen, die typischerweise ein direktes Objekt haben (z.B. ‘treffen’), einen passiv erreichten Zustand (‘Sie ist(!) getroffen’).

Dieses ist beim Anterior, der in erster Näherung der deutschen Konstruktion [Form von ‘haben’ + Partizip Perfekt] entspricht, anders:

a) transitives Verb: 𓎁𓏏𓀜𓈖𓋴 jṯ(j).n⸗s ‘sie hat/hattegenommen, sie wird/möge … gen. haben
b) intransitives Verb: (nicht genutzt, vgl. hat/hatte … gekommen’).

Zu Ausnahmefällen, in denen der Resultativ dieselbe Bedeutung hat wie der Anterior vgl. unten.


Bei Verben, die einen Zustand ausdrücken, namentlich mn ‘bleiben’, hat der Resultativ einfach statische Bedeutung („Stativ“ im eigentlichen Sinne).

𓏠𓈖𓏛𓍘𓇋
mn.tj
‘sie bleibt, sie blieb, sie wird/möge bleiben’


Bei Adjektiven (z.B. ꜥꜣ ‘groß’) hat der Resultativ wohl ebenfalls einfach statische Bedeutung.

𓉻𓂝𓏜𓍘𓇋
ꜥꜣ.tj
‘sie ist/war groß, sie wird/möge groß sein’

Traditionell wird aber davon ausgegangen, dass die scheinbaren Adjektive wie z.B. ꜥꜣ ‘groß’ im Resultativ eigentlich keine Adjektive, sondern Verben sind (vgl. dazu Peust 2008), z.B. ꜥꜣ(j) ‘groß sein’, oder – noch spezieller – dass sie Verben sind, die das Erlangen eines Zustandes beschreiben, in diesem Fall ꜥꜣ(j) ‘groß werden’. Folglich würde der Resultativ den nach dem Erlangensprozess erreichten Zustand wiedergeben: ‘ist groß geworden’ → ‘ist groß’. Es ergäbe sich eine subtil verschiedene Interpretation:

𓉻𓂝𓏜𓍘𓇋
ꜥꜣ(j).tj:
‘ist/war groß geworden, wird/möge groß geworden sein’.


(3) Formen

Der Resultativ ist die einzige Verbform des Ägyptischen, die fest mit ihr verbundene Personalendungen hat. Wir unterscheiden daher bei der Formenbestimmung zweckmäßigerweise zwischen Stamm und Endung (vgl. das dtsch. Präsens geh-e, geh-st, geh-t).

a) Die Endungen flektieren nach Person, Numerus und Genus. Sie haben folgende Formen:

Flexion Endung Schreibungen Beispiele Übersetzungen
1sg -kw, -k(w) 𓎡𓅱𓀀, 𓎡𓅱𓏤, 𓎡𓏲𓀀, 𓎡𓏲𓏤
𓎡𓅱𓀻, 𓎡𓅱𓀭, …
𓎡𓅱𓇋, 𓎡𓅱𓇋𓀀 (lies -kw) *)
𓎡𓀀, 𓎡𓏤
𓎡𓀻, 𓎡𓀭, …
𓎁𓏏𓀜𓎡𓏲𓀀 ‘ich bin/war
genommen’
(aägy.) -.kj 𓎡𓇋, 𓎡𓇋𓀀 *)
2sg -t(j), -tj 𓏏(vor Klass.), 𓍘𓇋 𓎁𓏏𓏏𓀜 (jṯ(j).t(j))
𓎁𓏏𓀜𓍘𓇋 (jṯ(j).tj)
‘du bist/warst
genommen’
3sg.m -ø **)
oder -w
keine –;
𓏲/ 𓅱 (vor Klass.)
𓎁𓏏𓀜 (jṯ(j).ø)
𓎁𓏏𓏲𓀜 (jṯ(j).w)
(je nach Genus
im Deutschen:)
‘er/sie/es ist/war
genommen’
3sg.f -t(j), -tj 𓏏 (vor Klass.), 𓍘𓇋 𓎁𓏏𓏏𓀜 (jṯ(j).t(j))
𓎁𓏏𓀜𓍘𓇋 (jṯ(j).tj)
1pl -wïn 𓏲𓏭𓈖𓏥 , 𓅱𓏭𓈖𓏥 , 𓅱𓈖 𓎁𓏏𓀜𓅱𓏭𓈖𓏥 ‘wir sind/waren
genommen’
-n 𓈖𓏥 (veraltete Alternative)
2pl -twnï 𓅂𓈖𓏭 , 𓅂𓈖𓏭, 𓅂𓈖 𓎁𓏏𓀜𓅂𓈖𓏭 ‘ihr seid/wart
genommen’
-tn 𓏏𓈖𓏥 , 𓏏𓈖 (veraltete Alternativen)
3pl -w, -(.w) 𓅱 / 𓏲 (vor Klass.), – keine 𓎁𓏏𓅱𓀜 (jṯ(j).w)
𓎁𓏏𓇋𓇋𓀜 (jṯy(.w))
‘sie sind/waren
genommen’
(3pl.f) -t(j), -tj 𓏏, 𓍘𓇋 (nur im Altägyptischen)
*) In der alten Schreibung 𓎡𓅱𓇋 in der 1P.Sg. ist das 𓇋 wohl als Hinweis (mater lectionis) auf den vokalischen Auslaut /u/ (dazu Werning 2016). Die seltene Schreibung 𓎡𓅱𓇋 stellt dann ein Hybrid aus der alten Schreibung 𓎡𓇋 und der neuen Schreibung 𓎡𓅱 dar, das als kw{j} oder einfach als kw transkribiert werden sollte.
**) Die Transkription der Endung im 3sg.m mit „ø“, d.h. „Null-Endung“, hat rein didaktische Gründe. Alternativ kann einfach jede Endung ausgelassen werden. Einige ForscherInnen transkribieren in solchen Fällen „(.w)“.

Die Endungsschreibungen 𓏏 t(j) ohne j und 𓏲/𓅱 w stehen vor dem Klassifikator des Verbs, die übrigen Endungsschreibungen in aller Regel dahinter. Man kann sich die Haupt-Reihe gut rhythmisch als „ku / ti ― u / ti ― win ― tuni ― u /ti“ merken.


b) Der Stamm der Verben entspricht in den meisten Fällen den Wörterbuchformen, nur Verben IIae geminatae (z.B. wnn, mꜣꜣ, qbb, …) werden in aller Regel mit nur einem der Zwillingskonsonanten geschrieben, d.h. z.B. 𓈎𓃀𓏁 qb. Verben IIIae infirmae (jr(j), mr(j), rḏ(j), …) zeigen in der 3sg.m (-.ø/-.w) und 3pl (-.w) den Halbkonsonanten (j) gelegentlich als y (𓇋𓇋), z.B. 𓁹𓇋𓇋 jry(.w).

Stark IIae geminatae IIIae infirmae Unregelmäßig
𓄔𓅓 𓌴𓁹𓄿 (selten:
𓌴𓁹𓄿𓄿)
𓁹 Nur 3sg.m/3pl auch:
𓁹𓇋𓇋
𓂞 ~ 𓂋𓂞
sḏm.- mꜣ.- (mꜣꜣ.-) jr(j).- jry.-
(d.h. jry.ø/jry(.w))
ḏ(j).- ~ rḏ(j).-
ist gehört’ ist gesehen’ ist gemacht’ ist gegeben’.

Zum Vergleich der Anterior (der sprachgeschichtlich möglicherweise auf den Resultativ + „dativisches“ n ‘für, haben’ zurückgeht; Werning 2008: §8):

Stark IIae geminatae IIIae infirmae Unregelmäßig
𓄔𓅓𓈖 𓌴𓁹𓄿𓈖 𓁹𓈖 𓂞𓈖 ~ 𓂋𓂞𓈖
sḏm.n mꜣ.n jr(j).n ḏ(j).n ~ rḏ(j).n
hat gehört, hörte’ hat gesehen, sah’ hat gemacht, machte’ hat gegeben, gab’.

Literaturhinweise

Allen (²2010: Kap. 17.1–3, 17.6); Schenkel (⁵2012: Kap. 7.3.2,a–c); Werning (2008); Werning (2016).

Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).


Zitieren Sie diese Version dieser Seite:

Daniel A. Werning. 26.7.2018. "§70", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A770%26oldid=692 (Zugriff: 1.10.2024).

Kommentieren Sie diese Seite hier.

← zurück §69 weiter §71 →