§47
Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik
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Präpositionen
(1) Begriffsbestimmung und Bedeutung
Präpositionen sind unveränderliche Wörter, die ‘vor’ (lateinisch prae) Substantive ‘gesetzt’ (lat. positum) werden und die grundlegende Verhältnisse wiedergeben, wie beispielsweise
Bedeutungsbereich Deutsch spatial (räumlich) in, an, auf, über, unter, vor, hinter, neben, bei, … temporal (zeitlich) vor, nach, bei, … kausal (Grund) wegen, aufgrund, … final (Zweck) zwecks, um … zu, … komparativ (vergleichend) wie, so wie konkomitativ (begleitend) mit instrumental (Hilfsmittel) mit, mittels
Wie z.B. dtsch. mit – vgl. mit dem Messer [instrumental] vs. mit einem Freund [begleitend] – sind einige ägyptische Präpositionen hochgradig „polysem“ (altgriechisch poly ‘viel’, dtsch. Semantik ‘Bedeutungslehre’).
Wichtige ägyptische Präpositionen sind:
Präposition | Spatial | Temporal | Kausal/ final |
Andere Bedeutung | Anteil Präp. | |
---|---|---|---|---|---|---|
𓅓, (𓇋𓅓) | m (jm) | in; von (… her) | während | in (Situation/Zustand); mit(tels); (fungierend) als; aus (Material); von (Gruppe) |
32,2 % | |
𓈖 | n | zu (einer Person) | wegen | (Kasus) dativ; für; gehörend | 21,5 % | |
𓂋, (𓇋𓂋) | r (jr) | an; zu (… hin); weg von |
bis zu | zwecks, um … zu |
bezüglich; gegen; in Vergleich zu |
14,4 % |
𓁷𓏤, (𓁷𓂋) | ḥr | auf, über; bei | bei | wegen | nebst, plus | 11,3 % |
𓏇𓇋 | mj | (so) wie | 2,7 % | |||
𓎛𓈖𓂝 | ḥnꜥ | zusammen mit | 1,8 % | |||
𓐍𓂋 | ḫr | bei | unter | 1,4 % | ||
𓌨𓂋 | ẖr | unter | unter (Kontrolle); mit (tragend) | 1,1 % | ||
𓅓𓂝 | m-ꜥ(w) | von (jmdm.), vor (jmdm.), im Besitz/unter Kontrolle von |
1,0 % | |||
𓇉𓄿𓁶 | ḥꜣ | hinter; um … herum | 0,8 % | |||
𓅓𓄚𓈖𓏌𓅱𓉐 | m ẖnw | in, innerhalb, inmitten | zuhause in | 0,6 % | ||
𓅓𓂺𓏤𓏛 | m-bꜣḥ | vor; in Gegenwart von | vor | 0,6 % | ||
𓐍𓆑𓏏, 𓐍𓏏𓆑 | ḫft | angesichts, vor | während | gemäß | 0,4 % | |
𓁶𓏤, (𓁶𓊪) | dp (Wb. tp) |
(oben) auf; zuvorderst; auf dem Kopf von |
(vor) | 0,4 % | ||
𓅓𓆱𓐍𓏏𓂻 | m-ḫt | hinter | nach | (im Zuge dessen) | 0,4 % | |
𓅓𓐠𓏤 | m-sꜣ | hinter | nach | achten auf, wachen über | 0,3 % | |
𓅓𓅓 | m-m | inmitten (Gruppe) | 0,3 % | |||
𓂋𓐞𓏤 | r-gs | neben, an der Seite von | 0,3 % | |||
… | ||||||
𓁷𓏤𓁶𓏤 | ḥr-dp (ḥr tp) |
oben auf, über | zugunsten von | 0,2 % |
Insbesondere die häufigsten vier Präpositionen sollte man sich gut einprägen. (Die Prozentangaben beziehen sich auf die Belegfrequenz innerhalb der Gruppe der Präpositionen im Thesaurus Linguae Aegyptiae, Stand 2011.)
(2) Konstruktionen
Eine Präposition kann vor (Voll-)Substantiven und vor Personalpronomina stehen. Man spricht vom „status nominalis“ bzw. „status pronominalis“. Steht eine Präposition vor einem Personalpronomen, so steht regelmäßig ein Pronomen aus der Reihe der Suffixpronomina, z.B.:
𓈖𓌢𓈖𓏏𓁐 n sn.t ‘für die Schwester’ 𓌨𓂋𓂋𓂧𓂾𓂾 ẖr rd.(wï) ‘unter den Füßen’ 𓈖𓋴 n⸗s ‘für sie’ 𓌨𓂋𓋴𓈖𓏥 ẖr⸗sn ‘unter ihnen’.
Ausnahme: Die Präpositionen 𓏇𓇋 mj ‘wie’ kommt nicht vor Personalpronomina vor (F. Kammerzell). Stattdessen steht im status pronominalis 𓏇𓇋𓐪𓂧𓏌𓏛 mj-qd⸗ ‘nach Art von, (so) wie’ oder 𓏇𓏏𓏭 mjt.ï⸗ ‘(gleich) wie’.
(3) Morphologie und Orthographie
Einige der Präpositionen werden im status pronominalis häufig (aber nicht immer) in einer volleren Form geschrieben als im status nominalis.
Standard-
schreibungVollere
SchreibungÜbersetzungs-
äquivalentem / jm 𓅓 𓇋𓅓 in, als, mittels, usw. r / jr 𓂋 𓇋𓂋 an, zu, bezüglich ḥr 𓁷𓏤 𓁷𓂋, (𓁷𓏤𓂋) auf, über, bei, wegen dp 𓁶𓏤 𓁶𓊪 (oben) auf
Beispiele:
𓅓𓉐𓏤 m pr(w) ‘im Haus’ 𓁷𓏤𓈐𓏏𓏤 ḥr wꜣ.t ‘auf dem Weg’ 𓇋𓅓𓆑 jm⸗f ‘in ihm’ 𓁷𓂋𓋴 oder 𓁷𓏤𓋴 ḥr⸗s ‘auf ihm’.
Bemerkung: Dies hängt wohl damit zusammen, dass die Präpositionen vor Substantiven in irgendeiner Weise weniger akzentuiert ausgesprochen wurden als vor Suffixpronomina (so bei m vs. jm und r vs. jr), bzw. damit, dass der Auslautkonsonant vor Suffixpronomina markanter und stabiler war als vor Substantiven (so bei ḥr und dp). Im Altägyptischen erscheint die vollere Schreibung nicht nur im status pronominalis, sondern auch im status nominalis.
(4) Semantische Besonderheiten (aus deutscher Perspektive)
(a) 𓁷𓏤 ḥr kann sowohl ‘auf’ als auch ‘über’ bedeuten, 𓁷𓏤𓁶𓏤 ḥr-dp (trad. ḥr-tp) sowohl ‘(oben) auf’ als auch ‘über’.
Anmerkung: In den meisten Sprachen wird zwischen einem unter-mit-kontakt zwischen beiden beteiligten Objekten und einem unter-ohne-kontakt nicht unterschieden; vgl. dtsch. die Katze unter dem Tisch – Papier unter dem Bücherstapel. Nicht wenige Sprachen machen auch keinen Unterschied zwischen Kontakt vs. Nicht-Kontakt im analogen Fall von über-mit-kontakt ‘auf’ vs. über-ohne-kontakt ‘über’. Das Ägyptische gehört zu diesen Sprachen (Werning 2014a: §6.3).
(b) Für eine Kopfbedeckung/einen Kopfschmuck ‘auf/um’ einem Kopf/Scheitel wird paradoxer Weise oft die Präposition m ‘in’ anstelle von ḥr ‘auf’ benutzt: 𓅓𓁶𓏤 m dp (trad. m tp) ‘auf dem Kopf’, 𓅓𓄋𓏏𓏤 m wp.t ‘auf dem Scheitel’.
Erläuterung: Bestimmte räumliche Konstellationen, bei denen häufig Körperteile involviert sind, werden vereinzelt in verschiedenen Sprachen quasi paradox versprachlicht. So kann man für ‘Schuhe an seinen Füßen haben’ im wallonischen Französisch avoir des chaussures dans ses pieds sagen – wörtl. ‘Schuhe in(!) seinen Füßen haben’. Im Italienischen kann man für ‘Der Hut ist auf dem Kopf’ sagen Il cappello è in testa – wörtl. ‘Der Hut ist in(!) Kopf.’ Kognitiv ist das Verhältnis hier aber jeweils genau umgekehrt: Die Füße(!) sind im Schuh(!) und der Kopf(!) ist im Hut(!) (Werning 2014a: §6.6: „Paradoxical figure–ground reversal“). Im Ägyptischen gibt es dasselbe Phänomen wie im Italienischen.
(c) Die Präposition 𓁶𓏤/ 𓁶𓊪 dp (trad. tp) ‘(oben) auf; zuvorderst’ kann ganz allein schon ‘auf dem Kopf von’ bedeuten: 𓁶𓊪𓆑 dp⸗f ‘auf seinem Kopf’.
Anmerkung. Hier wird seine etymologische Verbindung mit dem Substantiv 𓁶𓏤 dp ‘Kopf’ besonders deutlich (Werning 2014a: §§6.4–6.5).
(d) Eine weitere, idiomatische Besonderheit des Ägyptischen ist die Kollokation 𓁶𓏤𓂋𓏤 dp rʾ (trad. tp rʾ; wörtl. ‘(oben) auf dem Mund’ oder vielleicht eher ‘zuvorderst des Mundes’, Werning 2014a: 238). 𓁶𓏤𓂋𓏤 dp rʾ entspricht im Deutschen ‘im(!) Mund’ bzw. in bestimmten Kontexten ‘aus dem Mund’.
Literaturhinweise
Allen (²2010: Kap. 8.1–4); Schenkel (⁵2012: Kap. 5.1.6); Werning (2012), Werning (2014a)
Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).
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Daniel A. Werning. 15.6.2018. "§47", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A747%26oldid=279 (Zugriff: 24.11.2024).
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