§81: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik

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Aktuelle Version vom 26. Juli 2018, 11:06 Uhr

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Gebrauch und Erkennbarkeit der passiven Verbalformen

(1) Satzstruktur

Grundsätzlich verhalten sich die t(w)-Passiv-Formen grammatisch so wie die entsprechenden aktiven Formen.

Beispiele:

a) Imperfektiv und Anterior können nur im Nebensatz direkt am Anfang stehen:
jw sḏm⸗f ‘Er hört’ jw sḏm.tw⸗f ‘Er wird gehört’ (Imperfektiv, HS)
sḏm⸗f ‘wobei er hört/hörte/h. wird’ sḏm.tw⸗f ‘wobei er gehört wird/wurde/werden wird’ (Imperfektiv, NS)
b) Inkompatibilität des Subjunktiv und Posterior mit jw, Möglichkeit im Hauptsatz am Anfang zu stehen:
sḏm⸗f ‘Er soll/wird hören’ sḏm.tw⸗f ‘Er soll/wird gehört werden’ (Subjunktiv, HS)
sḏm⸗f ‘so/auf dass er hören wird’ sḏm.tw⸗f ‘so/auf dass er gehört werden wird’ (Subjunktiv, NS)
c) Negation des Subjunktivs mit nn, der anderen Verbalformen mit n(j):
nn sḏm⸗f ‘Er soll/wird nicht hören’ nn sḏm.tw⸗f ‘Er soll/wird nicht gehört werden’ (neg. Subjunktiv)
n(j) sḏm⸗f ‘Er hörte nicht’ n(j) sḏm.tw⸗f ‘Er wurde nicht gehört’ (neg. Perfektiv)
n(j) sḏm.n⸗f ‘Er hört(!) nicht’ n(j) sḏm.n.tw⸗f ‘Er wird(!) nicht gehört’ (neg. Anterior)


Der Posterior-Passiv sḏmm(⸗f) verhält sich grammatisch wie der entsprechende aktive Posterior sḏm(.w)(⸗f). Auch werden beide im Laufe der Sprachgeschichte funktional u.a. durch den Subjunktiv ersetzt. Das (perfektive) sḏm(.w)-Passiv verhält sich entweder wie der aktive Anterior sḏm.n(⸗f) oder wie der aktive Perfektiv sḏm(⸗f).

Vergleiche:

d) Inkompatibilität des Posterior-Passiv mit jw, Möglichkeit im Hauptsatz am Anfang zu stehen:
sḏmm⸗f ‘Er wird gehört werden’ (Posterior-Passiv) vgl. sḏm(.w) ⸗f ‘Er wird hören’ (Posterior)
n(j) sḏmm⸗f ‘Er wird nicht gehört werden’ (Posterior-Passiv) vgl. n(j) sḏm(.w)⸗f ‘Er wird nicht hören’ (Post.)
e) sḏm(.w)-Passiv wie Anterior: nach Partikel und negiert als generelles „Präsens“:
jw sḏm(.w) ḫrw ‘Die Stimme wurde gehört’ (sḏm(.w)-Passiv) vgl. jw sḏm.n⸗f ‘Er hat gehört’ (Anterior, HS)
sḏm(.w) ḫrw ‘nachdem die Stimme gehört wurde’ (sḏm(.w)) vgl. sḏm.n⸗f ‘nachdem er gehört hat’ (Ant., NS)
n(j) sḏm(.w)⸗f ‘Er wird(!) nicht gehört’ (sḏm(.w)-Passiv) vgl. n(j) sḏm.n⸗f ‘Er hört(!) nicht’ (Anterior)
c) sḏm(.w)-Passiv wie Perfektiv: „alter“ Gebrauch, direkt am Satzanfang, auch negiert mit Vergangenheitsbedeutung:
sḏm(.w) ḫrw ‘Die Stimme wurde gehört’ (sḏm(.w)-Passiv) vgl. sḏm⸗f ‘Er hörte’ (Perfektiv, Reliktgebrauch)
n(j) sḏm(.w)⸗f ‘Er wurde nicht gehört’ (sḏm(.w)-Passiv) vgl. n(j) sḏm⸗f ‘Er hörte nicht’ (Perfektiv)


(2) Verbformen in Konkurrenz

(Dieser Abschnitt (2) kann ggf. zunächst übergangen werden.)

Obwohl theoretisch möglich, wurde das t(w)-Passiv praktisch nicht in allen denkbaren Fällen genutzt.

Insbesondere nicht genutzt wurden der nicht-negierte Anterior mit t(w) (*jw sḏm.n.t(w)(⸗f) ‘(er) wurde gehört’) und das nicht-negierte Perfektiv mit t(w) (*sḏm.t(w)(⸗f) ‘(er) wurde gehört’). Denn bei pronominalem Patiens war der Resultativ beliebter: z.B. jw⸗f sḏm.ø ‘er ist gehört; er wurde gehört’. Bei voll-nominalem Patiens war das sḏm(.w)-Passiv beliebter: sḏm(.w) ḫrw ‘die Stimme wurde gehört’.

Es gibt folgende pragmatische Tendenz bei nicht-negierten Vergangenheitsaussagen:

Aktiv Passiv
Intransitive Verben,
insb. Bewegungsverben
Resultativ (§71)
Transitive Verben Anterior (§34) (pronominales Patiens:) Resultativ (§71)
(nominales Patiens:) sḏm(.w)-Passiv (§80 (3))


Auch ein Posterior mit t(w) (*sḏm(.w).t(w)(⸗f) ‘(er) wird gehört werden’) ist nur selten belegt, da zu früheren Zeiten das Posterior-Passiv sḏmm(⸗f) ‘(er) wird gehört werden’ beliebter war und später der Subjunktiv (sḏm.t(w)(⸗f) ‘(er) möge/soll/wird gehört werden’) die Aufgaben des Posterior übernommen hat.

So kommt es, dass das t(w)-Passiv nur beim Imperfektiv sḏm.t(w)(⸗f) ‘wird gehört’ und beim Subjunktiv sḏm.t(w)(⸗f) ‘möge/wird gehört werden’ geläufig ist, sowie generell bei negierten Suffixkonjugationsformen (Perfektiv n(j) sḏm.t(w)(⸗f) ‘wurde nicht gehört’, Anterior n(j) sḏm.n.t(w)(⸗f) ‘wird nicht gehört, kann nicht gehört werden’ [„Gunn’sche Regel“!], Subjunktiv nn sḏm.t(w)(⸗f) ‘möge/wird nicht gehört werden’; jedoch wie im aktiven Fall kein Imperfektiv *n(j) sḏm.t(w)(⸗f) ‘wird gehört’).


(3) Erkennbarkeit

Dass eine passive Verbalform vorliegt, erkennt man im günstigsten Fall gleich am t(w)-Suffix.

Ansonsten erkennt man es daran, dass im Satz der von der Verb-Bedeutung her geforderte Handelnde (Agens) hinter dem Verb fehlt. Dieses Profil hat neben den Passivformen sonst nur der der Imperativ, dem das Agens der 2. Person (‘du, ihr’) inhärent ist, und der Resultativ, bei dem der Patiens (transitive Verben) bzw. der Experiencer (Zustandsverben, Adjektivverben) wenn, dann nicht dahinter, sondern davor steht. Umgekehrt ist eine Verbalform mit Agens nie passiv (– „Passiv“ ist ja gerade über dieses Fehlen des Agens definiert).

(A) Aktant Dynamisch Aktant
V–A(&P) sḏm ḥm ḫrw Aktive Suffixkonjugationsform
V(–P) sḏm ḫrw Passive Suffixkonjugationsform
Imperativ ‘Hör(e) die Stimme!’
A–V–A'(&P) ḥm sḏm ⸗f(!) ḫrw Spezielles Imperfektiv-Satzmuster
P–V:trans. jw⸗f sḏm Resultativsatz ‘Er ist/wurde gehört’
A–V:intrans. ḥm jw(j) Resultativsatz ‘Der Diener ist gekommen’
(B) Experiencer Statisch Experiencer
Adj/V–E nfr ḥm Adjektiv ‘Der Diener ist/war gut.’
E–Adj/V ḥm nfr Adjektivalsatz ‘der gute Diener’
Resultativsatz ‘Der Diener ist/war gut (geworden).’

Zusätzliche, anderweitig leicht erkennbare Sonderfälle:

  • Resultativ der 1. Person im alten Gebrauch (V.kw–P): sḏm.k(w) ḫrw ‘Ich habe die Stimme gehört.’ (§71).
  • Resultativ von rḫ ‘kennenlernen’ (A–rḫ–P): ḥm rḫḫrw ‘Der Diener kennt die Stimme.’ (§72).


(4) Praktische Konsequenzen:

(a) Eine t(w)-Passiv-Form ist so zu analysieren wie die entsprechende t(w)-lose Form (insbesondere hinsichtlich der Fragen Hauptsatz vs. Nebensatz, Negationsweise, Gunn’sche Regel, u.a.m.).


(b) Mit einem Posterior-Passiv sḏmm(⸗f) / jr(j).w(⸗f) ‘(er) wird gehört werden’ ist nur in frühen Texten (z.B. Sargtexte) zu rechnen, da er ebenso ausstirbt wie der aktive Posterior, funktional durch den Subjunktiv ersetzt wird (§43). Er ist gut durch die Reduplikation bei 3 rad.- und IV. inf.-Verben (sḏmm bzw. nḏrr) oder durch ein geschriebenes w oder y (III. inf.) erkennbar.


(c) Das sḏm(.w)-Passiv ‘wurde gehört’ ist hingegen zu allen Zeiten vergleichsweise beliebt und steht an Stellen, wo man theoretisch einen t(w)-Passiv des Anterior *sḏm.n.t(w) erwartet hätte. Die Form gleicht der des Resultativ der 3. Person Sg. Mask., wird also meist ohne w geschrieben und ist daher meist nur durch das auffällige Fehlen des erwarteten Handlungsträgers/Agens zu erkennen.

Literaturhinweise

Allen (²2010: ch. 18.6, 19.4, 20.3, 21.1–3,6,8–14); Schenkel (⁵2012: Kap. 7.3.1.2, 7.3.5).

Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).


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Daniel A. Werning. 26.7.2018. "§81", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A781%26oldid=703 (Zugriff: 22.11.2024).

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