Istiqāma (Geradheit, Korrektheit)

Aus Wege zu einer Ethik

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Istiqāma, abgeleitet aus der Grundform q-w-m im X. Stamm, kann ins Deutsche als “Geradheit”, “aufrechte Haltung”, “Aufrichtigkeit”, “Anständigkeit”, “Rechtschaffenheit” sowie “Korrektheit” übersetzt werden. Der Begriff wird auch synonym zu iʿtidāl und istiwāʾ ("Geradheit", "Ebenheit", "Geradestehen" und "Gleichmäßigkeit") gebraucht.[1] Das Antonym heißt iltiwāʾ ("Gekrümmtsein", "Verkehrtheit").[2] Innerhalb der islamischen Theologie wird istiqāma aus religiöser (dīnī), ethischer (aḫlāqī) und normativer (qānūnī) Perspektive unterschiedlich definiert.[3]

Sobhi Mahmassani (gest. 1986) zufolge ist istiqāma aus religiöser Perspektive die "Aufrichtigkeit" (iḫlāṣ) in Bezug auf den Glauben an die Einheit Gottes (at-tawḥīd), den Glauben im allgemeinen Sinne (al-īmān), den Vollzug gottesdienstlicher Handlung (al-ʿibāda), den Gehorsam (aṭ-ṭāʿa) gegenüber Gott und die Unterlassung, Gott eine andere Gotteheit beizugesellen (tark aš-širk bi-llāh). Im Grunde sei es "das Beschreiten des Weges der wahren Religion" (sulūku ṭarīq ad-dīn al-ḥanīf).[4]

In ethischem Diskurs bezieht sich istiqāma nach Mahmassani auf Tugenden, die der Gerechtigkeit (al-qawām, al-ʿadl)[5] untergeordnet werden.[6]

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Koranische Bedeutung

Im Koran wird istiqāma im ethischen Sinne als “gerechtes und anständiges Handeln” in Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen verwendet (Q 26:182; Q 9:7). Ferner zeigen Koranpassagen, dass die Propheten mit Derivaten des istiqāma dazu aufgefordert werden, stets "geraden Kurs zu halten" (istaqim; siehe Q 42:15; Q 10:89; Q 11:12). Das kann einerseits eine Anordnung zur sozialen Anständigkeit und das Aufrechterhalten der Gerechtigkeit bedeuten. Doch bezieht sich ein solcher Apell an die Propheten auf die Verantwortung in Bezug auf die Verkündung der göttlichen Botschaft und dem korrekten Handeln danach. So steht istiqāma also auch im Zusammenhang mit "Korrektheit" und "Aufrichtigkeit" gegenüber Gott.

Am häufigsten kommt der Begriff als Adjektiv zur Charakterisierung “des Weges” (aṣ-ṣirāṭ al-mustaqīm; dt. “der rechte Pfad”[7]; ṭarīq mustaqīm[8]) vor. Er steht oft im Zusammenhang mit der göttlichen Rechtleitung (hudā)[9] und wird auch als "Weg Gottes" (Q 42: 52-53) beschrieben, auf der sich Gott selbst befindet (Q 11:56). "Der rechte Pfad" wird in Q 6:161 gleichgesetzt mit dem “richtigen Glauben” (dīnan qiyaman) und der “Religion Abrahams” (millata ibrāhīma ḥanīfan). Die Beständigkeit auf dem so genannten “rechten Weg” sei nur durch gefügiges Verhalten gegenüber der Offenbarung zu sichern (wa-in tuṭīʿūhu tahtadū; Q 24:54). Der Mensch soll sich nicht von diesem Weg abwenden (fa-in aslamū fa-qadi htadau wa-in tawallau fa-innamā ʿalayka l-balāġu; Q 3:20)[10], denn es gibt offenbar Wege, die von dem geraden abweichen (Q 16:9). und den Menschen irren lassen.

Über diesen Gebrauch hinaus wird an einer Stelle im Koran (Q 2:142) istiqāma im Zusammenhang mit der Gebetsrichtung (qibla) gebraucht.

Aḫlāq-Genre der Postklassik

In seinem Šarḥ verwendet Ṭāšköprüzādeh (gest. 1561) istiqāma, wie sie in Q 6:153[11] vorkommt, synonym zum Begriff iʿtidāl.[12] In seinem Konzept ist iʿtidāl ("Mittigkeit") die mittlere Disposition zwischen den Dispositionen des Übermaßes (ifrāṭ) und des Mangels (tafrīṭ) und entspricht der Tugend (faḍīla).[13] Es sei äußerst schwer, diese rechte Mitte zu wahren, dergestalt, dass der Prophet gesagt habe, Sure 11 (Hūd) hätte ihn altern lassen, da es dort heißt, dass er stets den geraden Kurs halten soll (fa-staqim)" (Q 11:112). Daher ist Ṭāšköprüzādeh der Meinung, dass es keinen Stärkeren gäbe, als jenen, der stets die Mitte zu halten pflegt. Einfach würde es dem Menschen nämlich fallen, sein Handeln auf die Lüste im Bereich der beiden Extreme von Übermaß (ifrāṭ) und Mangel (tafrīṭ) zu reduzieren, so wie es in der Natur (mizāǧ, istiʿdād) des Menschen gegeben sei.[14]

Aus seinen Erläuterungen lässt sich schließen, dass Ṭāšköprüzādeh das koranische aṣ-ṣirāt al-mustaqīm ("der rechte Pfad") mit der Tugendhaftigkeit gleichsetzt. Des Weiteren bezieht er sich auf das Bild der in Hadithen rezipierten eschatologischen Brücke (ṣirāṭ)[15] über dem ǧahannam.[16] Diese überträgt er auf das irdische ethische Handeln, die mit viel Mühe verbunden sei. Denn es bedeute ein Schreiten auf einer Brücke, die „dünner als ein Haar und schärfer als eine Klinge“[17] ist.[18] Die Seite des Übermaßes entspreche dem Höllenfeuer wie in Q 104:6-8 beschrieben ist. In den Ausführungen Ṭāšköprüzādehs ist die andere Seite des "rechten Pfades" durch eine wahnsinnige Kälte" (zamharīr ʿaẓīm) gekennzeichnet, die für den Mangel im Verhalten stehe.[19] Diese Kälte, die in Q 76:13 vorkommt, wird von Koranexegeten generell als eine andere Art der Höllenstrafe verstanden.

Literatur

Quellenangaben

Ibn Manẓūr. Lisān al-ʿArab, 18 Bd. Qum: Našr Adab al-Ḥawza, 1984.

Mahmassani, Sobhi. ad-Daʿāʾim al-ḫuluqiyya li-l-qawānīn aš-šarʿiyya. Beirut: Dār al-ʿilm, 1979.

Ṭāšköprüzādeh. Šarḥ Risālat al-Aḫlāq (Ed. Ṣalāḥ al-Hudhud). In Risālat al-aḫlāq wa šarḥuhā li-l-ʿAllāma Ṭāšköprüzādeh. Beirut- Libanon: Dār aḍ-Ḍiyāʾ, 2018.

Weiterführende Literatur

  • Walid A. Saleh. “The Etymological Fallacy and Qur´anic Studies: Muhammad, Paradise, and Late Antiquity”. In The Qur´ān in Context: Historical and Literary Investigations into the Qur´ānic Milieu (Ed. Angelika Neuwirth, Nicolai Sinai, Michael Marx): S. 650- 698. (Zu Ausführungen von "straight path" siehe S. 664- 670.)
  • G. Monnot. “Ṣirāṭ”. In Encyclopaedia of Islam, Second Edition (Ed. P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs).

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Fatma Akan Ayyıldız.


Quellen:

  1. Lisān al-ʿArab, XII: 498; Mahmassani, ad-Daʿāʾim al-ḫuluqiyya, S. 182.
  2. Mahmassani, ad-Daʿāʾim, S. 182.
  3. Mahmassani, ad-Daʿāʾim, S. 182.
  4. Mahmassani, ad-Daʿāʾim, S. 182- 183. Vgl. Lisān al-ʿArab, XII: 498.
  5. al-qawām ay al-ʿadl; Mahmassani, ad-Daʿāʾim, S. 182. Auch in Lisān al-ʿArab wird al-qawām sinngleich mit al-ʿadl definiert; s. Lisān al-ʿArab, XII: 499.
  6. Mahmassani, ad-Daʿāʾim, S. 183.
  7. Q 36:4; Q 6:126; Q 19:36; Q 15:41; Q 23:73; Q 6:39; Q 6:153.
  8. Q 46:30.
  9. Q 1:6; Q 3:51; Q 67:22; Q 37:118; Q 4:68; Q 4:175; Q 48:20; Q 24:46; Q 10:25; Q 16:121; Q 42:52.
  10. Siehe auch Q 60:6; Q 4:80; Q 2:64; Q 96:13; Q 53:33; Q 11:57.
  11. "Und (er lässt euch sagen:) Dies ist mein Weg (ṣirātī mustaqīman). (Er ist) gerade. Folgt ihm! Und folgt nicht den (verschiedenen anderen) Wegen, dass sie sich (nicht) mit euch teilen (und euch) von seinem Weg (wegführen)!"
  12. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 71.
  13. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 63.
  14. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 63.
  15. Buḫārī, 46: Maẓālim, no. 1; 81: riqāq, no. 124; Tirmiḏī, 47: Tafsīr al-qur´ān, no. 3549; Sunan Ibn Māǧa, XXXVII: Kitāb az-zuhd, no. 180.
  16. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 71.
  17. Muslim, I: Īmān, no. 362.
  18. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 63.
  19. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ. S. 71.