§26
Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik
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„Genitiv“-Attribute: „direkter Genitiv“ und „indirekter Genitiv“
(1) Bezeichnungen
Sprachen haben unterschiedliche Verfahren ein Besitzverhältnis auszudrücken, z.B. ein konkretes Besitzverhältnis wie ‘das Haus des Nachbarn’ oder ein abstraktes wie ‘das Laufen des Motors’. Im Deutschen kennen wir zwei Verfahren: die Bildung mit dem Fall/Kasus Genitiv, z.B. das Bein des Tisches, und die Bildung als zusammengeschweißtes Kompositum, z.B. das Tischbein.
Das Ägyptische kennt ebenfalls zwei Verfahren, die traditionell als „direkter Genitiv“ und „indirekter Genitiv“ bezeichnet werden. (Diese traditionellen Bezeichnungen sind in gewisser Weise irreführend, da die ägyptische Sprache eigentlich gar keine Fälle/Kasus besitzt. „Genitiv“ meint hier nur, dass die so bezeichneten ägyptischen Konstruktionen dieselbe Funktion haben, wie ein Genitiv z.B. im Deutschen.)
(2) Indirekter „Genitiv“
Die erste Möglichkeit, die das Ägyptische hat, ein Besitzverhältnis anzuzeigen, ist die mit Hilfe des Verbindungswortes 𓈖 n(.ï) ‘von’.
- Beispiel:
𓂋𓈖 𓈖 𓊹𓂋𓏏𓁐 rn n(.ï) nṯr.t Transkription Name:m.sg von:m.sg Göttin:f.sg Interlinearglossierung (‘der Name von der Göttin’), besser übersetzt, einfach:
‘der Name der Göttin’ oder
‘der Göttinnenname’
Es ist wichtig, zu beachten, dass eine gute, angemessene deutsche Übersetzung nicht mit ‘von’ gemacht wird (‘der Name von der Göttin’), sondern mit quasi bedeutungsgleichem Genitiv (‘der Name der Göttin’) oder mit Kompositum (‘der Göttinnenname’).
Da das Besessene und der Besitzer im Gegensatz zum unten unter (3) vorgestellten Verfahren nur indirekt, mittels des Verbindungswortes n(.ï) ‘von’ verbunden sind, spricht man traditionell vom „indirekten Genitiv“. Die Form des Verbindungswortes richtet sich nach Genus und Numerus des vorausgehenden Substantivs. Man sagt: Sie kongruiert mit dem vorausgehenden Substantiv. Es gibt drei Formen:
Singular | Plural | |
---|---|---|
Maskulinum | 𓈖 n(.ï) |
𓏌𓏤 n.(ï)w |
Femininum | 𓈖𓏏 n.(ï)t |
Anstelle von speziellen Dual-Formen (n.(ï)wï, n.(ï)tï) steht im klassischen Mittelägyptisch eine Plural-Form.
- Beispiele:
Kongruenz(!) Mask. Sg. 𓂋𓈖 𓈖 𓊹𓂋𓏏 rn n(.ï) nṯr.t ‘der Name der Göttin’ Pl. 𓂋𓈖𓂋𓈖𓂋𓈖 𓏌𓏤 𓊹𓏤 rn.(w) n.(ï)w nṯr ‘die Namen des Gottes’ Du. 𓂝𓏤𓂝𓏤 𓏌𓏤 𓊹𓏤 ꜥ(w).(wï) n.(ï)w nṯr ‘die (beiden) Hände des Gottes’ Fem. Sg. 𓁹𓏏𓏤 𓈖𓏏 𓊹𓏤 jr.t n.(ï)t nṯr ‘das Auge des Gottes’ Pl. 𓁹𓏏𓏦 𓈖𓏏 𓊹𓊹𓊹 jr.(w)t n.(ï)t nṯr.(w) ‘die Augen der Götter’ Du. 𓁹𓏏𓏮 𓈖𓏏 𓊹𓏤 jr.tï n.(ï)t nṯr ‘die (beiden) Augen des Gottes’
In späteren Texten steht teils die unmarkierte Form 𓈖 n(.ï) auch anstelle n.(ï)w von und n.(ï)t.
(3) Direkter „Genitiv“
Die zweite Möglichkeit, die das Ägyptische hat, ein Besitzverhältnis anzuzeigen, ist ein Kompositum, vergleichbar dem dtsch. Tischbein. Die beiden Substantive werden einfach direkt hintereinander gesetzt. In der Transkription werden beide durch einen Bindestrich verbunden. Allerdings ist die Reihenfolge im Ägyptischen genau umgekehrt im Vergleich zum Deutschen: zuerst wird das „Besessene“ genannt, dann der „Besitzer“.
- Beispiel:
𓂋𓈖 𓊹𓂋𓏏𓁐 rn-nṯr.t (mit Bindestrich) Name:m.sg–Göttin:f.sg ‘der Göttinnenname’, oder, meist schöner:
‘der Name der Göttin’.
Anmerkung: Das erste Substantiv steht – in der Schrift nicht erkennbar – in einer Form, die etwas weniger betont ausgesprochen wurde als normal: im sog. „status constructus“, alias „status nominalis“.
(4) Unterschied und Bestimmtheit
Ein Bedeutungsunterschied zwischen dem direkten Genitiv und dem indirekten Genitiv entspricht nicht genau dem des deutschen Kompositum vs. Genitiv. Das bedeutet konkret, dass z.B. jr.t-nṯr genauso gut mit ‘das Gottesauge’ wie mit ‘das Auge des Gottes’ übersetzt werden kann. Und jr.t n.(ï)t nṯr kann ebenfalls genauso gut mit ‘das Gottesauge’ wie mit ‘das Auge des Gottes’ übersetzt werden. Ein Bedeutungsunterschied zwischen dem „direkten Genitiv“ und dem „indirekten Genitiv“ im Ägyptischen ist noch nicht befriedigend erforscht.
Da ägyptische Substantive sowohl bestimmt als auch unbestimmt übersetzt werden können, können z.B. jr.t-nṯr und jr.t n.(ï)t nṯr wahlweise übersetzt werden als: ‘das Auge des Gottes’, ‘das Auge eines Gottes’, ‘ein Auge des Gottes’, ‘ein Auge eines Gottes’ oder ‘das Gottesauge’, ‘ein Gottesauge’.
Literaturhinweise
Allen (²2010: Kap. 4.13); Schenkel (⁵2012: Kap. 5.2.3, 5.1.1.4); Werning (Genitive, im Druck); Jansen-Winkeln (2000)
Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).
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Daniel A. Werning. 26.7.2018. "§26", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A726%26oldid=648 (Zugriff: 21.11.2024).
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