§76
Aus Hieroglyphisch-Ägyptische Grammatik
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Imperativ
Der Imperativ ist die Befehlsform einer Sprache, z.B. dtsch. Tu(e) das!.
Der Imperativ sḏm
(1) Bedeutung und Morphologie
Wie im Deutschen gibt es beim ägyptischen Imperativ mindestens bei einigen ägyptischen Verben eine Singular-Form und eine Plural-Form (Tu das! vs. Tut das!). Die Formen des Imperativs stellen sich wie folgt dar:
Stark IIae geminatae IIIae infirmae rḏ(j) (selten) jw(j)/jj(j) (selten) Sg. 𓄔𓅓 𓌴𓁹𓄿𓄿, 𓌴𓁹𓄿 𓁹 𓂞 𓂻𓅱 ~ 𓇍𓇋𓂻 sḏm mꜣꜣ ~ mꜣ jr(j) ḏ(j) jw(j) ~ jj(j) ‘hör(e)!’ ‘sieh(e)!’ ‘mach(e)!’ ‘gib!’ ‘komm!’ Pl. 𓄔𓅓𓏥, 𓄔𓅓 𓌴𓁹𓄿𓏥, 𓌴𓁹𓄿 𓁹𓇋𓇋𓏪, 𓁹 𓂞𓇋𓇋𓏪, 𓂞 𓂻𓅱𓏥 ~ k.B. sḏm.(w) mꜣ.(w) jry.(w) ~ jr(j.w) ḏy.(w) ~ ḏ(j.w) jw(j.w) ~ jy(j.w). ‘hört!’ ‘seht!’ ‘macht!’ ‘gebt!’ ‘kommt!’
Hinzu kommen einige sehr häufige unregelmäßige Formen:
‘nimm!, nehmt!’ m 𓅓𓂝 ‘tu(e)/tut nicht!’ m 𓅓, (𓅓𓂜) (→ siehe unten (4)) ‘gehe!, geht!’ j.z(j) 𓇋𓊄𓂻, 𓇋𓊄 (zum II.inf. Verb z(j))
Und in aller Regel wurde, um den Imperativ ‘gib!, gebt!’ auszudrücken, nicht ḏ(j) (dazu Werning 2013: 243), sondern jmj benutzt und zum Ausdruck des Imperativs ‘komm!, kommt!’ nicht jw(j)/jj(j) (dazu Schweitzer 2008), sondern mj bzw. mj(.w):
‘gib!, gebt!’ jmj 𓇋𓅓𓐝𓂟, 𓇋𓅓𓐝𓂝 (𓐝 = Phon. mj, 𓂟/𓂝 = Klass.),
sekundär, ursprünglich irrig auch 𓇋𓅓𓅓𓂝, 𓇋𓐝𓐝𓂝‘komm!’ (Sg.) mj 𓅓𓇋𓂻, 𓅓𓂝𓇋𓂻, 𓅓𓂻 ‘kommt!’ (Pl.) my(.w)/mj(.w) 𓅓𓇋𓇋𓂻, 𓅓𓂝𓇋𓇋𓂻, 𓅓𓇋𓂻, …
Anmerkung: Bei der Partikel m⸗k / m⸗ṯ / m⸗ṯn 𓅓𓂝𓎡 / 𓅓𓂝𓍿 / 𓅓𓂝𓍿𓈖𓏥, die im Deutschen traditionell mit imperativischem ‘siehe!, seht!’ übersetzt wird, handelt es sich nicht wirklich um eine Imperativ-Form von einem Verb ‘sehen’, sondern wohl um eine Partikel, die in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit herstellt.
(2) Konstruktionen
Ein Imperativ zeichnet sich dadurch aus, dass das angerufene Subjekt normalerweise nicht separat genannt ist. Denn der Imperativ richtet sich immer an die 2. Person (‘du!, ihr!’). Diese ist ihm quasi innewohnend („inhärent“) und braucht daher nicht notwendigerweise explizit wiederholt werden.
[Imperativ] [ggf. direkte/indirekte Objekte] 𓇋𓅓𓐝𓂝 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jmj tʾ n nb.t geben.imp Brot(m) dat Herrin:f ‘Gib der Herrin das Brot!’
Für die Satzstellung von direktem und indirektem Objekt gilt die übliche Morphemgewichtshierarchie hinter Verben (§37). Eine orthographische Besonderheit ist in diesem Zusammenhang die zwei Wörter verschmelzende Zusammenschreibung des Imperativs m ‘nimm!’ mit folgendem n⸗ ‘dat’ in dem Zweikonsonantenzeichen mn 𓌇 (Gardiner Nr. T1).
- Beispiel:
Um diese Besonderheit auch in der Transkription sichtbar zu machen, kann man optional m und n⸗ durch einen Bindestrich verbinden (z.B. m-n⸗k).
(3) Gebrauch
a) Optional kann – wie in dtsch. Gib du der Herrin das Brot! – die im Imperativ schon implizit angerufene Person zusätzlich explizit genannt werden. Dabei gibt es drei Hauptvarianten:
- i) mit Enklitischem Personalpronomen:
𓇋𓅓𓐝𓂝 𓍿𓅱 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jmj ṯw tʾ n nb.t geben.imp 2sg.m Brot(m) dat Herrin:f ‘Gib du der Herrin das Brot!’.
- ii) mit r⸗ plus Suffixpronomen der 2. Person (‘deinerseits, eurerseits’):
𓇋𓅓𓐝𓂝 𓂋𓎡 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jmj r⸗k tʾ n nb.t geben.imp zu=2sg.m Brot(m) dat Herrin:f ‘Gib (du) deinerseits der Herrin das Brot!’, dtsch. besser einfach:
‘Gib du der Herrin das Brot!’.
- iii) mit n⸗ plus Suffixpronomen der 2. Person (‘um deinetwillen, um euretwillen’):
𓇋𓅓𓐝𓂝 𓈖𓎡 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jmj n⸗k tʾ n nb.t geben.imp für=2sg.m Brot(m) dat Herrin:f ‘Gib um deinetwillen der Herrin das Brot!’, dtsch. besser einfach:
‘Gib du der Herrin das Brot!’.
b) Natürlich ist es auch möglich vor oder nach dem Imperativ-Satz eine „vokativische“ Anrufung hinzuzufügen.
- Beispiele:
𓇋𓅓𓐝𓂝 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 𓍛𓀀 jmj tʾ n nb.t ḥm geben.imp Brot(m) dat Herrin:f Diener(m) ‘Gib der Herrin das Brot, (du) Diener!’
𓍛𓀀 𓊪𓈖 𓇋𓅓𓐝𓂝 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 ḥm pn jmj tʾ n nb.t Diener(m) dem.nah:m.sg geben.imp Brot(m) dat Herrin:f ‘Du Diener! Gib der Herrin das Brot!’
- Zum vokativischen Gebrauch der Demonstrativpronomina, in dem sie besser mit einem Personalpronomen (‘du!, ihr!’) zu übersetzten sind, vgl. oben §30.
c) Für eine Kette von mehreren Befehlen wird eher selten eine einfache Kette von mehreren Imperativen genutzt. Stattdessen wird die Aufforderungskette mit einem Imperativ begonnen und mit einem Posterior oder Subjunktiv fortgesetzt. In der dtsch. Übersetzung übertragen wir die Kette aber oft besser, abweichend vom Ägyptischen, als Kette von Imperativen.
- Beispiel:
𓏎𓈖 𓏏𓏐𓏒 𓂞𓎡 𓇓𓅱 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jn(j) tʾ ḏ(j)⸗k sw n nb.t bringen:imp Brot(m) geben:sbjv=2sg.m 3sg.m dat Herrin:f (Wörtl. ‘Hole das Brot und du sollst es der Herrin geben!’; aber zu übersetzen als:)
‘Hole das Brot und gib es der Herrin!’
d) Gelegentlich kommt hinter dem Imperativ eine enklitische Partikel 𓅓 ~ 𓅓𓂝 m(j) vor, die sich hier behelfsweise mit ‘doch’, ‘bitte’ oder ‘nun’ übersetzen lässt.
- Beispiel:
𓏎𓈖 𓅓𓂝 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 jn(j) m(j) tʾ n nb.t bringen:imp ptkl Brot(m) dat Herrin:f ‘Hole doch/bitte/nun das Brot für die Herrin!’
(4) Negation
Eine „negierter“ Befehl wird – vergleichbar mit dem englischen don’t give! – mit der Negation 𓅓, selten 𓅓𓂜 m ‘tu nicht! (engl. don’t)’ gebildet. Das „eigentliche“ Verb folgt der Negation. Es erscheint dabei immer in einer besonderen Form, der sog. „Negativkomplement“-Form (dazu direkt im Anschluss §77).
- Beispiel:
𓅓 𓂋𓂞 𓏏𓏐𓏒 𓈖 𓎟𓏏𓁐 m rḏ(j.w) tʾ n nb.t nicht_tun.imp geben:nkompl Brot(m) dat Herrin:f ‘Gib der Herrin das Brot nicht!’
- (Für ein weiteres Beispiel siehe §77, Ende.)
Literaturhinweise
Allen (²2010: ch. 16.1–4, 16.6,8, 16.7,6, 19.8,3); Schenkel (⁵2012: Kap. 7.4.2.2).
Siehe Bibliographie (teilweise mit Links zu online verfügbaren Werken).
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Daniel A. Werning. 22.6.2018. "§76", Digitale Einführung in die hieroglyphisch-ägyptische Schrift und Sprache, Humboldt-Universität zu Berlin, http://hdl.handle.net/21.11101/0000-0007-C9C9-4?urlappend=index.php?title=%C2%A776%26oldid=320 (Zugriff: 28.11.2024).
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