Ḫuluq (Charakter, Verhalten): Unterschied zwischen den Versionen

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An dieser Stelle werden angeborene Elemente im Verhalten beachtet. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]''), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Auf dieser natürlichen Basis ausgeprägtes Verhalten ist bei Ṭāšköprüzādeh der "Charakter bedingt durch die Natur" (''ḫuluq tabiʿī).'' ("Charakter bedingt durch die Natur"). Dahingegen sei "Charakter bedingt durch Gewöhnung" (''ḫuluq ʿādī)'' jenes Verhalten, das entgegen dem ''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]'', durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben werde.<ref>Ṭāšköprüzādeh, ''Šarḥ'', S. 60- 61.</ref>
Angeborene Elemente im Verhalten beachtet Ṭāšköprüzādeh gesondert. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]''), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Auf dieser natürlichen Basis ausgeprägtes Verhalten ist bei Ṭāšköprüzādeh das, was er als den Charakter, der durch die Natur bedingt ist (wörtl. ''ḫuluq tabiʿī)'' ("Charakter bedingt durch die Natur") beschreibt. Dahingegen sei "Charakter bedingt durch Gewöhnung" (''ḫuluq ʿādī)'' jenes Verhalten, das entgegen dem ''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]'' durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben werde.<ref>Ṭāšköprüzādeh, ''Šarḥ'', S. 60- 61.</ref>




Dieser ontologische Diskurs menschlicher Handlungen ist Voraussetzung für anschließende Erläuterung, welche Handlungen eines Menschen aus ethischer Perspektive relevant sind.
Dieser ontologische Diskurs menschlicher Handlungen ist die Voraussetzung dafür, um darüber zu entscheiden, wie die Handlungen des Menschen ethisch einzuordnen sind.


== Autor*innen und Quellenangaben ==
== Autor*innen und Quellenangaben ==

Version vom 6. Dezember 2021, 22:30 Uhr

Neben "Wesensart", "Naturell" und "Charakter" des Menschen kann ḫuluq auch für "Moral", "Anstand" und "Sittlichkeit" stehen.[1] Nach Lisān al-ʿArab bezeichnet sowohl ḫulq als auch ḫuluq die innerliche Art und Weise des Menschen sowie die Seele mit ihren Eigenschaften und Bedeutungen. Wohingegen dem mit fatḥa vokalisiertem ḫalq die äußerlich sichtbare Form mit ihren Eigenschaften und Bedeutungen zugeschrieben wird.[2] Mit anderen Worten ist ḫuluq die innere Form und Charakter und ḥalq die äußere Form und die Schöpfung.[3] Eigenschaften, von denen hier die Rede ist, sind gut (ḥasen) und böse (qabīh) oder Lob (ṯawāb) und Buße (ʿiqāb). Dabei haben diese Merkmale einen stärkeren Bezug zur inneren Form, also dem Charakters (ḫuluq). Die äußere Form des Menschen (ḫalq) wird vergleichsweise weniger mit diesen Eigenschaften identifiziert.[4]

Synonyme von ḫuluq sind ṭabʿ ("die Natur [des Menschen]"), saǧiyya ("Charakterzüge", "natürliche Wesensart des Menschen" oder "Naturveranlagung"), aber auch dīn,[5] möglicherweise im Sinne von "Überzeugung" oder "Gewissen".

Ḫuluq in der adab-Literatur

Abū l-Ḥasan al-Māwardī (gest. 450/1058) untersucht ḫuluq aus einer metaethischen Perspektive in seinem Werk Adab ad-dunyā wa-d-dīn. Der erste Teil seiner Unterteilung von aḫlāq (Sg. ḫuluq) nämlich aḫlāq aḏ-ḏāt ist eine Rezeption griechischer Morallehre, während seine Ausführungen des zweiten Teils afʿāl al-irāda (Handlungen des Willen) von Einflüssen islamisch-arabischer Kultur geprägt ist.[6] Er unterscheidet zwischen aḫlāq aḏ-ḏāt, dem angeborenem Verhalten, welches aus der natürlichen Veranlagung (ṭabʿ) resultiert und der afʿāl al-irāda (Handlungen des Willens), welche wiederum bewusst ausgewählt (also durch iḫtiyār bedingt) sind und aus der a) Vernunft (ʿaql), b) Meinung (raʾy) oder c) den Gelüsten (hawāʾ) resultieren. Der Verstand ermöglicht dem Menschen richtige Entscheidungen von falschen mit absoluter Sicherheit (tayaqqun) zu unterscheiden, während die Meinung (raʿy) lediglich eine überwiegende Vermutung (ġalabat aẓ-ẓann) in der Entscheidungsfindung zulässt.[7] Der Verstand, der das richtige Verhalten erkennt, bedürft der Erfahrungen durch einen Lernprozess.[8] Dadurch wird der Verstand vervollkommnet, dass sich entsprechend auf die Entscheidungsfindung auswirkt.

Aḫlāq-Genre

In den tugendethischen Werken der Postklassik orientieren sich islamische Autoren in Bezug auf die Definition des ḫuluq stark an Ibn Miskawayh (gest. 1030) oder an Ibn Sīnā (gest. 1037). Diese hatten die Galenische Definition nach Aristotelischer Systematik umgedeutet.

In dieser Traditionslinie schreibt ʿAḍud d-Dīn al- Īǧī (gest. 756/1355) in Risālat al-Aḫlāq, dass „Charakter [mit Leichtigkeit ausgeführte] vorreflexive [seelische] Handlungen qua Habitus (malaka)“ ist.[9] In seinem Kommentar, dem Šarḥ Aḫlāq al-ʿAḍudiyya, bindet Ṭāšköprüzādeh (1495- 1561) al-Īǧī`s Definiton von ḫuluq in ein Schema menschlicher Handlungen ein. Dabei unterscheidet Ṭāšköprüzādeh zunächst zwischen natürlichen Handlungen (afʿāl ṭabīʿiyya), auch als Reflexe zu verstehen, die auf gleiche Weise im Unbewusstsein erfolgen und den bewusst verlaufenden Handlungen (afʿāl nafsāniyya), die in unterschiedlicher Art auftreten. Seelische Handlungen werden davon ebenfalls unterschieden: Sind die bewusst ausgeführten Handlungen eines Menschen nicht beständig in der Seele (nafs), so spricht er von ḥāl (Zustand).[10] Damit ist gelegentlich ausgeübtes Verhalten gemeint. Erst wenn durch unzählige Wiederholung ein Verhalten an Beständigkeit gewinnt, spricht Ṭāšköprüzādeh von malaka (Habitus). Genauso wie die Aneignung nähme auch die Abgewöhnung dieses Verhaltens Zeit in Anspruch. Schließlich könne laut Ṭāšköprüzādeh von ḫuluq erst dann die Rede sein, wenn das beständige Verhalten (malaka) nun ohne Zeitverzögerung und Reflektion mühelos ausgeführt werden kann.[11]

Angeborene Elemente im Verhalten beachtet Ṭāšköprüzādeh gesondert. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (mizāǧ), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Auf dieser natürlichen Basis ausgeprägtes Verhalten ist bei Ṭāšköprüzādeh das, was er als den Charakter, der durch die Natur bedingt ist (wörtl. ḫuluq tabiʿī) ("Charakter bedingt durch die Natur") beschreibt. Dahingegen sei "Charakter bedingt durch Gewöhnung" (ḫuluq ʿādī) jenes Verhalten, das entgegen dem mizāǧ durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben werde.[12]


Dieser ontologische Diskurs menschlicher Handlungen ist die Voraussetzung dafür, um darüber zu entscheiden, wie die Handlungen des Menschen ethisch einzuordnen sind.

Autor*innen und Quellenangaben

Dieser Artikel wurde verfasst von: Fatma Akan Ayyıldız und Bahattin Akyol.


Quellen:

  1. Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch Für Die Schriftsprache Der Gegenwart, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (1985), S. 362.
  2. Ibn Manẓūr, Lisān al-ʿArab, Qum: Našr Adab al-Ḥawza (1984), X: 86.
  3. Cleophea Ferrari, Antike Tugendethik in der mittelalterlichen Philosophie der islamischen Welt, in: Tugend- Orient und Okzident Band 1 (Dagmar Kiesel/ Cleophea Ferrari), Frankfurt am Main: Klostermann (2016), S. 111.
  4. Lisān al-ʿArab, X: 86- 87.
  5. Lisān al-ʿArab, X: 86.
  6. Kallek, Cengiz. „Mâverdî’nin ahlâkî, içtimaî, siyasî ve iktisadî görüşleri“. Dîvân İlmî Araştırmalar Dergisi 17/2 (2004): 231.
  7. al-Māwardī, Tashīl an-naẓar wa taʿǧīl aẓ-ẓafar, Beirut: Dār an-nahḍa ar-ʿarabiyya, 1981, 23.
  8. Siehe Māwardī, Tashīl an-naẓar, 25.
  9. al-ḫuluqu malakatun taṣduru ʿanhā al-afʿālu [an-nafsāniyyatu bi-suhūlatin] min ġayri rawiyyatin; Vgl. al-Īǧī, al-Muḫtaṣaru fī ʿilm al-aḫlāq (Hg. Nizār Ḥammādī). Tunis: [o. V., o. J.], S. 3; Risālat al-Aḫlāq (Ed. Ṣalāḥ al-Hudhud), in Risālat al-aḫlāq wa šarḥuhā li-l-ʿAllāma Ṭāšköprüzādeh, Beirut- Libanon: Dār aḍ-Ḍiyāʾ (2018), S. 38.
  10. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ Risālat al-Aḫlāq (Ed. Ṣalāḥ al-Hudhud), in Risālat al-aḫlāq wa šarḥuhā li-l-ʿAllāma Ṭāšköprüzādeh, Beirut- Libanon: Dār aḍ-Ḍiyāʾ (2018), S. 60.
  11. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 60.
  12. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ, S. 60- 61.