Fasād (Fehlerhaftigkeit, Schlechtigkeit)

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Das arabische Wort fasād wird unter anderem übersetzt mit "Schlechtigkeit" und "Verdorbenheit". Im Bereich des islamischen Rechts bezeichnet fasād die Fehlerhaftigkeit beziehungsweise die Unvollkommenheit von Handlungen. Weitere Bedeutungsvarianten im Bereich des islamischen Rechts sind die Anfechtbarkeit und die Nichtigkeit von Handlungen.[1] Das dem Nomen fasād entsprechende Verb im ersten Stamm (fasada) wird unter anderem übersetzt mit "schlecht sein", "nichtig sein" und "falsch sein", das entsprechende Verb im vierten Stamm (afsada) wird unter anderem übersetzt mit "verderben", "zugrunde richten" und "Unheil anrichten". Das dem Nomen fasād entsprechende Adjektiv fāsid wird unter anderem mit "schlecht" und "nichtig" und im Bereich des islamischen Rechts mit "unvollkommen" übersetzt.[2]

Koran

Das Wort fasād beziehungsweise dessen Entsprechungen finden sich an mehreren Stellen im Koran. Hier bezeichnen sie einen grundlegend schlechten Zustand, der im starken Kontrast zum Guten steht.[3] In Q 7:127, 12:73 und 16:88 findet sich jeweils das Verb afsada. Dieses wird durchgehend mit "Unheil anrichten" übersetzt. In Q 10:40, 10:81, 18:94, 28:4 und 29:30 findet sich jeweils das Wort mufsidūna (beziehungsweise mufsidīna), was ausnahmslos mit "Menschen, die Unheil anrichten" übersetzt wird.[4]

Islamisches Recht

Im Bereich des islamischen Rechts bedeutet fasād die Nichtigkeit beziehungsweise die Anfechtbarkeit einer juristischen Handlung.[5] Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. as-Samʿānī (gest. 489/1095) setzt sich in seinem Werk Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl mit dem Begriff fasād im Zusammenhang mit dem Prinzip des nahy auseinander.[6] Unter der Überschrift "Das Verbieten weist auf den fasād - die Nichtigkeit - der verbotenen Handlung hin" (an-nahy yadullu ʿalā fasād al-manhyī ʿanhu) stellt as-Samʿānī die Diskussion über die Frage dar, wann eine Handlung, die vollzogen wurde, nichtig ist und ob das Verbieten einer Handlung darauf hinweist, dass eine verbotene Handlung (trotz Vollzug) als nichtig eingestuft wird, ob also das Verbot einer Handlung zwangsläufig die Nichtigkeit einer Handlung erfordert. Dies geht weiterhin mit der Einschätzung einher, ob eine Handlung, wenn sie verboten ist, diese dann auch als "böse" einzustufen ist.[7]

As-Samʿānī schreibt in diesem Zusammenhang von der Nichtigkeit einer verbotenen Handlung (fasād al-manhyī ʿanh). In seiner Darstellung wird deutlich, dass seiner Meinung nach die Untersagung (nahy) einer Handlung zum fasād, also zur Nichtigkeit dieser Handlung führt. Als Beispiel führt as-Samʿānī hier unter anderem das Gebet an einem unreinen Ort (aṣ-ṣalatu fī l-makāni an-naǧisi) an: Die Handlung des Gebets ist an sich erlaubt. Das Gebet an einem unreinen Ort ist jedoch untersagt. Der unreine Ort ist der Faktor, der zum fasād, also der Nichtigkeit dieser Handlung führt.[8]

In der Diskussion um das Prinzip des fasād geht es demnach darum, zu erkennen, ob Handlungen, die untersagt sind, bei Vollzug dennoch rechtliche Konsequenzen haben. Hierbei kann wiederum unterschieden werden zwischen der Gültigkeit von religiösen Handlungen einerseits und der Legitimität rechtlicher Handlungen andererseits.

Systematische Theologie (Kalām)

Im Bereich der Kalām-Wissenschaft werden die Adjektive ṣāliḥ, was unter anderem "gut" und "richtig" bedeutet, und fāsid als Gegensätze zueinander genutzt und häufig gleichbedeutend mit den Begriffen ḥasan und qabīḥ verwendet.[9]

fasād im Kontext der adab-Literatur

Der Begriff fasād gewinnt als Antonym des zentralen Begriffs ṣalāḥ an Bedeutung. Fasād kann mit "Verderben" oder "Verfall" übersetzt werden. Dabei geht es um weltliche beziehungsweise materielle Verderbnis welche sich beispielsweise durch Hunger, Anarchie oder Chaos ausdrückt, wie um seelische Verderbnis, die sich in einer unmoralischen Gesellschaft widerspiegelt. Salāḥ mit der Bedeutung "Wohlergehen" ist das zentrale Ziel, welches in den adab-Werken angestrebt wird. Das Wohlergehen beziehungsweise gute Leben des Menschen im Diesseits führt zur Glückseligkeit (as-saʿāda) des Menschen im Jenseits.[10] Al-Māwardī stellt Bedingungen für das Erreichen des Wohlergehens. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, so ist der fasād unausweichlich. Jede Verderbnis entstehe aus Ungerechtigkeit, so al-Māwardī.[11] Daher werden die Gründe (asbāb) und Bedingungen (qawāʿid) für das Wohlergehen und das Verderbnis intensiv in den adab-Werken behandelt.[12]

Literatur

Quellenangaben

  • Gardet, Louis. "Kawn wa Fasād". http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_SIM_4040 Zugegriffen am 04.12.2020.
  • Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013.
  • As-Samʿānī, Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl, Hg. Dr. Nāǧī as-Sawīd. Libanon: Al-Maktaba al-ʿAṣrīya, 2011, S. 102-112.
  • Wehr, Hans. Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch, Wiesbaden: Harrassowitz, 1985.

Weiterführende Literatur

  • Izutsu, Toshihiko. Ethico Religious Concepts in the Qurʾān, Montreal: McGill-Queen’s Universität Press, 1959.
  • Kurnaz, Serdar. Methoden zur Normderivation im islamischen Recht. Frankfurt: EB-Verlag, 2016.
  • Weiss, Bernard. The Search for God's Law: Islamic Jurisprudence in the Writings of Sayf al-Din al-Amidi. Utah: University of Utah Press, 2010.

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Selma Schwarz und Bahattin Akyol

  1. Wehr, Arabisches Wörterbuch, S. 963.
  2. Wehr, Arabisches Wörterbuch, S. 963.
  3. Gardet, "Kawn wa Fasād".
  4. Siehe dazu auch Izutsu, Ethico Religious Concepts, S. 211-213.
  5. Gardet, "Kawn wa-Fasād".
  6. As-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 102-112.
  7. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 102.
  8. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 102.
  9. Gardet, "Kawn wa-Fasād".
  10. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, S. 37.
  11. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 230.
  12. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 215.