Excelsior Phonograph
Aus Medienarchäologischer Fundus
Grunddaten
Inventarnummer: | 0150 |
Land: | Deutschland |
Hersteller: | Excelsior Werke Cöln (EWC), Köln |
Baujahr: | ca. 1903-1906 |
Modell: | ? |
Beschreibung
- Die Bauart des Phonographen
In seiner einfachsten Bauart besteht der Phonograph aus einem mit Zinnfolie ummantelten waagerecht liegenden Zylinder, der sich mit einer Handkurbel drehen lässt. Seitlich ist eine Haltevorrichtung für eine Membran angebracht, in die ein Stichel eingefasst ist.
Um seinen Bau ranken sich moderne Mythen. Gesichert ist die erste Veröffentlichung zum Phonographen vom 22. Dezember 1877 im Scientific American (Vol. XXXVII, No.25 [New Series], 32. Jahr): "Mr. Thomas A. Edison recently came into this office, placed a little machine on our desk, turned a crank, and the machine inquired as to our health, asked how we liked the phonograph, informed as that it was very well, and bid us a cordial good night. These remarks were not only perfectly audible to ourselves, but to a dozen or more persons gathered around, and they were produced by the aid of no other mechanism than the simple little contrivance explained and illustrated below." (S. 384.)
Der Phonograph ist seiner Bauart nach ein Selbstschreiber für Schallwellen, wie er 1857 von Léon Scott der Martinville mit seinem Phonautographen vorgestellt wurde. Der epistemologische Mehrwert des Phonographen besteht darin, die Schallwellen nicht nur sichtbar, sondern tastbar zu gravieren. Realisiert wurde dies zunächst durch Einschreibung in Zinnfolie, später v.a. in Wachs und in Zelluloid. Schon in frühen Selbstschreibern findet sich der Einsatz einer Membran (beispielsweise zur Blutdruckmessung).
- Insane in the membrane
In Scotts Phonautographen wurde die Membran erstmals direkt an den Stift gekoppelt. Auch wenn die Membran eine bedeutende Rolle in der frühen Telephonie und den ersten (Kohle-)Mikrophonen spielte, geht eine Einordnung in die Entwicklung des Phonographen hier fehl, da das Mikrophon Schalldruckschwankungen in elektrische Spannungen wandelt. Der Phonograph leistet die Speicherung von Sound rein mechanisch. Beim Telegraphen hingegen wurde die mechanische Einschreibung von Information (in diesem Zusammenhang ein Anachronismus) praktiziert.
- Signalübertragung
Der Phonograph hat Thomas Edison zum Hexenmeister gemacht, weil er reale Schallschwingungen einschreibt und wiedergibt. Das Parléophone hingegen wartet seit 130 Jahren auf eine Gestalt. Und auch Phonautogram- me erklingen erst dank digitaler Signalverarbeitung seit 2008. Wer von den Anfängen der Phonographie spricht, spricht von Menlo Park und spricht von Thomas Alva Edison. Gut 4/5 Edison’scher Patentanmeldungen aus den anderthalb Jahren vor dem Dezember 1877 betreffen Entwicklungen am Telephon oder am Telegraphen. Von Mitte 1873 bis Mitte 1876 haben alle 32 Patentanmeldungen den Telegraphen zum Gegenstand. Worin liegt der Übertrag aus Telegraphie und Telephonie, der dazu geführt hat, dass Schallspeicherung ein Ding der Möglichkeit werden konnte?
Mit Eisenbahn und Presse, mit Industrialisierung und Sezessionskrieg nahm seit den 1860er Jahren der Telegrammverkehr stetig zu. Die technische Frage der Zeit lautete: Wie lässt sich die Kanalkapazität der vorhanden Linien erhöhen, um teures und aufwändiges Verlegen neuer Leitungen zu vermeiden? Dazu gab es zwei Strategien: entweder man versuchte auf einer Leitung gleichzeitig mehrere Nachrichten zu übermitteln, oder man erhöhte die Geschwindigkeit, mit der die Nachrichten über den Kanal gingen. Beide Möglichkeiten hat Edison verfolgt, soweit sogar, dass er Patentrechte an Entwicklungsstufen der ersten Strategie, Bauvarianten des Quadruplex-Telegraphen (mit je zwei Sende- und Empfangsnachrichten pro Kanal), vertragswidrig sowohl an die Western Union als auch an die Automatic Telegraph Company verkaufte. Die Entwicklungen des zweiten Weges waren Recorder-Repeater, die der Logik des Telegraphennetzes entstammten: diese Geräte nahmen Aus- gangssignale auf, während der Operator sie sandte. Insbesondere Nachrichten der Presse konnten so mehrmals über verschiedene Linien versandt werden, dabei wurde die Sende- gleichauf mit der Wiedergabegeschwindigkeit erhöht. In einfachen Lochstreifen und Schieberegistern befand sich ein solches Prinzip schon in frühen Telegraphen der 1830er Jahre. Zu Edisons Zeiten allerdings, ab den 50er Jahren, wurden Signale in stark ausgelasteten Telegraphiebüros nicht mehr graphisch, sondern über Sounder akustisch ausgegeben. Parallel zur Lochstreifenspeicherung entwickelte Edison ab 1876 Geräte, die Signale zunächst auf Wachspapierstreifen, dann auf Scheiben einstanzten. Ein solches Gerät war z.B. der Translating Embosser.
Ein Leserbrief im Scientific American aus dem November 1877 ist der erste Beitrag zur Edison’schen Schallspeicherung überhaupt. Das dort vorgestellte Verfahren zeigt im apparativen Aufbau deutlich seine Herkunft aus der Signalübertragung. Auch wenn der Verfasser erläutert, dass das vorgestellte Design nicht dem Edison’schen entspreche, so zeigen die Zeichnungen des nachmaligen Hexenmeisters in seinen Notizbüchern, dass das Prinzip präzise getroffen ist – wie auch der Verfasser hervorhebt. Nicht nur sind alle Bestandteile gängige Bauteile aus der Telegraphie oder Telephonie, sondern die Anordnung, das Dispositiv, ist noch vom Recorder-Repeater aus gedacht: „Der Redner in Boston spricht, der eingekerbte Papierstreifen ist das handfeste Ergebnis; dieser aber wird zu einer zweiten Maschine transportiert, die mit dem Telephon verbunden sein kann.“
Ein Denken der Relais-Station; ein Denken der Übertragung. Für die Speicherung braucht es diese zweite Maschine nicht. Es war das kymographische Zylinder-Stichel-Prinzip, das Edison zuvor für Faksimile-Telegraphen von 1868, Automatische Telegraphen in den frühen 1870ern und Elektromotographen in den mittleren 1870ern eingesetzt hatte, das es brauchte, um den Sprung vom Recorder-Repeater zum Phonographen zu vollziehen.
- Medienarchäologische Verweise
Seiner Bauart nach ist der Phonograph ein Kymograph, der von einem Uhrwerk angetrieben wird und dessen Gleichlaufstabilität durch einen Fliehkraftregler gewährleistet wird.
Im Dezember 2007 noch ließen sich unbekümmert 130 Jahre Schallspeicherung feiern. Im Medientheater der Humboldt-Universität Berlin erklang am Eröffnungstag des Phonographischen Salons am 6. Dezember Rainer Maria Rilkes Ur-Geräusch. Solange Rilke seine Klangpoesie noch scheu umschrieb, waren Dichter und Leser auf ihre akustische Imago angewiesen: Wie mag es klingen, wenn ein Phonograph eine der menschlichen Schädelknochennähte, die Kronennaht, zum Erklingen bringt? Allein in der Phantasie, in der vorstellenden Erscheinung, hat sich dem Poeten der Zauber seiner Feiertagsdichtung eröffnet. Rilkes zaghafte Forderung zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts harrte über Jahrzehnte ihrer weihevollen Einlösung, bis das Berliner Publikum Ohrenzeugenschaft über das Ur-Geräusch ablegen durfte. Der Gedanke ist so aktuell wie vermutlich niemals zuvor. Dies zeigt nicht nur die zeitgleiche Bearbeitung des Ur-Geräuschs durch den Phonographischen Salon, der Die Geburt der Phonographie aus dem Geiste der Signalübertragung feierte, und durch die österreichische Künstlerin Katarina Matiasek, deren Screening Ur-Geräusch auf der transmediale 08 gezeigt wurde. Ebenso hat sich seit den frühen 90er Jahren die wissenschaftliche Praxis der Sonifikation etabliert, die Strukturen von Signal- und Datenräumen auditiv repräsentiert und ein klangliches Wissensfeld eröffnet. Und im März 2008 schließlich veröffentlichten kalifornische Wissenschaftler und Toningenieure „The World’s oldest Sound Recordings“. Au Clair de la Lune, von einem 148 Jahre alten Phonogramm Édouard-Léon Scott de Martinvilles in realen Gesang rekonstruiert, erhebt den Phonautographen im Verbund mit der digitalen Signalverarbeitung unserer Gegenwart in das Reich der Zauberhaften Klangmaschinen. Nunmehr gesellt sich dieses Kinderlied in dem raumzeitlichen Verwirrspiel der Medien neben Thomas Edisons Mary had a little Lamb. Muss die Geschichte umgeschrieben werden, oder beanspruchen Medien eine Eigenzeitlichkeit, die die Historie per se in Frage stellt?
Junge Forscher und Künstler hören der Medienarchäologie Klang- und Signalarchäologien ab, die gemeinsam ein Denken der Technik befördern. Pikanterweise war das erste phonographisch geschrie(be)ne Wort Hallo; ungarisch für „Ich lausche“. Audio, „ich lausche“ lautet also auch die Devise im Medientheater, wenn wir rekonstruieren, wie Edison aus der Morsetelegraphie heraus den Phonographen erfindet. Der kalte Blick erspäht hier einen Kreuzweg aus Signal- und Schriftraum, der uns seither Schallspeicherung heißt. Diesem Pfad folgen wir weiter und also lauschen wir auch, wenn wir eine Signalspur auf die Phonographenwalze schreiben, um mit ihr digitale Soundfiles anzusteuern.
Medienarchäologisch nämlich gibt es keine dead media.
-- SebastianDoering - 17 Feb 2010
Links
http://www.youtube.com/watch?v=-3VThbf0JKw&feature=share&list=UUOks0hDQ02OK2yDKj2QOWTw
https://soundcloud.com/mediensounds/phonograph