Ḫuluq (Charakter, Verhalten): Unterschied zwischen den Versionen

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Neben "Wesensart", "Naturell" und "Charakter" des Menschen kann ''ḫuluq'' auch für "Moral", "Anstand" und "Sittlichkeit" stehen.<ref>Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch Für Die Schriftsprache Der Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 1985, S. 362.</ref>  Nach ''Lisān al-ʿArab'' bezeichnet sowohl ''ḫulq'' alsauch ''ḫuluq'' die innerliche Art und Weise des Menschen, wohingegen dem mit ''fatḥa'' vokalisiertem ''ḫalq'' das äußerlich Sichtbare zugeschrieben wird.  
Neben "Wesensart", "Naturell" und "Charakter" des Menschen kann ''ḫuluq'' auch für "Moral", "Anstand" und "Sittlichkeit" stehen.<ref>Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch Für Die Schriftsprache Der Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 1985, S. 362. </ref>  Nach ''Lisān al-ʿArab'' bezeichnet sowohl ''ḫulq'' alsauch ''ḫuluq'' die innerliche Art und Weise des Menschen, wohingegen dem mit ''fatḥa'' vokalisiertem ''ḫalq'' das äußerlich Sichtbare zugeschrieben wird.  


== ''Ḫuluq'' in postklassischen islamisch-ethischen Werken ==
== ''Ḫuluq'' in postklassischen islamisch-ethischen Werken ==


Naṣīr d-Dīn Ṭūsī (1201- 1274) zufolge ist ''ḫuluq/aḫlāq'' eine geistige Fähigkeit (''[[malaka]]''), welche gewisse Handlungen ohne Bedarf an Reflektion oder Bemühung fördert. ʿAḍud d-Dīn al- Īǧī (1281- 1355) übernimmt diese Definition in seinem ''Risāla al-Aḫlāq'', auch bekannt als ''Aḫlāq ʿAḍudīya''. Demzufolge ist ''ḫuluq'' eine Fähigkeit (''malaka''), wodurch vom nafs ohne jegliche Reflektion Verhalten ausgeht.<ref>ʿAḍud d-Dīn al-Īǧī, Risāla al-aḫlāq. Bayrūt- Lubnān: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 38.</ref>  In ''Šarḥ Aḫlāq al-ʿAḍudīya'' bindet Ṭaškubrīzādah (1495- 1561) Īǧī`s Definiton von ''ḫuluq'' erfolgreich in ein Schema menschlicher Handlungen ein. Ṭaškubrīzādah unterscheidet zunächst zwischen natürlichen Handlungen (''afʿāl ṭabīʿīya''), die auf gleiche Weise im Unbewusstsein erfolgen und bewusst verlaufenden Handlungen, den ''afʿāl nafsānīya'', die in unterschiedlicher Art auftreten. Die ''afʿāl nafsānīya'' werden ebenfalls in zwei Formen unterteilt. Sind die bewusst ausgeführten Handlungen eines Menschen nicht verankert in seinem ''nafs'', so spricht er von ''[[ḥāl]]'', also von Vergänglichem. Wenn das ''nafs'' sich durch zählige Wiederholungen einigen Handlungen unterwirft und diese darin sesshaft werden, spricht Ṭaškubrīzādah von ''malaka'', also von erworbenem Verhalten. Genauso wie die Aneignung nähme auch die Abgewöhnung dieses Verhaltens (''malaka'') Zeit in Anspruch. Schließlich könne nach Ṭaškubrīzādah von ''ḫuluq'' erst dann die Rede sein, wie Īǧī zuvor erwähnte, wenn das fest verankerte Verhalten (''malaka'') auch ohne Zeitverzögerung und Reflektion mühelos ausgeführt wird. An dieser Stelle werden angeborene Elemente im Verhalten beachtet. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]''), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Dabei stützt sich Ṭaškubrīzādah auf das von der antiken Humoralpathologie abgeleitete Persönlichkeitsmodell des Galen. Auf dieser natürlichen Basis entstehendes Verhalten wird ''ḫuluq tabiʿī'' genannt. Dahingegen sei ''ʿada'' jenes Verhalten, das entgegen dem ''mizāǧ'', durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben wird.<ref>Ṭaškubrīzādah, Šarḥ Risāla al-aḫlāq. Bayrūt- Lubnān: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 60.</ref>  
Naṣīr d-Dīn Ṭūsī (1201- 1274) zufolge ist ''ḫuluq/aḫlāq'' eine geistige Fähigkeit (''[[malaka]]''), welche gewisse Handlungen ohne Bedarf an Reflektion oder Bemühung fördert. ʿAḍud d-Dīn al- Īǧī (1281- 1355) übernimmt diese Definition in seinem ''Risālat al-Aḫlāq'', auch bekannt als ''Aḫlāq ʿAḍudīya''. Demzufolge ist ''ḫuluq'' eine Fähigkeit (''malaka''), wodurch vom ''nafs'' ohne jegliche Reflektion Verhalten ausgeht. <ref>ʿAḍud d-Dīn al-Īǧī, Risālat al-aḫlāq. Beirut: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 38.</ref>  In ''Šarḥ Aḫlāq al-ʿAḍudīya'' bindet Ṭāšköprüzādeh (1495- 1561) Īǧī`s Definiton von ''ḫuluq'' erfolgreich in ein Schema menschlicher Handlungen ein. Ṭāšköprüzādeh unterscheidet zunächst zwischen natürlichen Handlungen (''afʿāl ṭabīʿīya''), die auf gleiche Weise im Unbewusstsein erfolgen und bewusst verlaufenden Handlungen, den ''afʿāl nafsānīya'', die in unterschiedlicher Art auftreten. Die ''afʿāl nafsānīya'' werden ebenfalls in zwei Arten unterteilt. Sind die bewusst ausgeführten Handlungen eines Menschen nicht verankert in seinem ''nafs'', so spricht er von ''[[ḥāl]]'', also von Vergänglichem. Wenn das ''nafs'' sich durch zählige Wiederholungen einigen Handlungen unterwirft und diese dauerhaft werden, spricht Ṭaškubrīzādah von ''malaka'', also von erworbenem Verhalten. Genauso wie die Aneignung nähme auch die Abgewöhnung dieses Verhaltens (''malaka'') Zeit in Anspruch. Schließlich könne laut Ṭāšköprüzādeh von ''ḫuluq'' erst dann die Rede sein, wie Īǧī zuvor erwähnte, wenn das fest verankerte Verhalten (''malaka'') auch ohne Zeitverzögerung und Reflektion mühelos ausgeführt wird. An dieser Stelle werden angeborene Elemente im Verhalten beachtet. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (''[[Mizāǧ (Grundwesensart, Temperament)|mizāǧ]]''), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Dabei stützt sich Ṭaškubrīzādah auf das von der antiken Humoralpathologie abgeleitete Persönlichkeitsmodell des Galen. Auf dieser natürlichen Basis entstehendes Verhalten wird ''ḫuluq tabiʿī'' genannt. Dahingegen sei ''ʿada'' jenes Verhalten, das entgegen dem ''mizāǧ'', durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben wird. <ref>Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ Risālat al-aḫlāq. Beirut: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 60.</ref>  
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== Autor*innen und Quellenangaben ==
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Dieser Artikel wurde verfasst von: Fatma Akan Ayyildiz.
Dieser Artikel wurde verfasst von: Fatma Akan Ayyildiz.


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Version vom 18. November 2020, 12:24 Uhr

Neben "Wesensart", "Naturell" und "Charakter" des Menschen kann ḫuluq auch für "Moral", "Anstand" und "Sittlichkeit" stehen.[1] Nach Lisān al-ʿArab bezeichnet sowohl ḫulq alsauch ḫuluq die innerliche Art und Weise des Menschen, wohingegen dem mit fatḥa vokalisiertem ḫalq das äußerlich Sichtbare zugeschrieben wird.

Ḫuluq in postklassischen islamisch-ethischen Werken

Naṣīr d-Dīn Ṭūsī (1201- 1274) zufolge ist ḫuluq/aḫlāq eine geistige Fähigkeit (malaka), welche gewisse Handlungen ohne Bedarf an Reflektion oder Bemühung fördert. ʿAḍud d-Dīn al- Īǧī (1281- 1355) übernimmt diese Definition in seinem Risālat al-Aḫlāq, auch bekannt als Aḫlāq ʿAḍudīya. Demzufolge ist ḫuluq eine Fähigkeit (malaka), wodurch vom nafs ohne jegliche Reflektion Verhalten ausgeht. [2] In Šarḥ Aḫlāq al-ʿAḍudīya bindet Ṭāšköprüzādeh (1495- 1561) Īǧī`s Definiton von ḫuluq erfolgreich in ein Schema menschlicher Handlungen ein. Ṭāšköprüzādeh unterscheidet zunächst zwischen natürlichen Handlungen (afʿāl ṭabīʿīya), die auf gleiche Weise im Unbewusstsein erfolgen und bewusst verlaufenden Handlungen, den afʿāl nafsānīya, die in unterschiedlicher Art auftreten. Die afʿāl nafsānīya werden ebenfalls in zwei Arten unterteilt. Sind die bewusst ausgeführten Handlungen eines Menschen nicht verankert in seinem nafs, so spricht er von ḥāl, also von Vergänglichem. Wenn das nafs sich durch zählige Wiederholungen einigen Handlungen unterwirft und diese dauerhaft werden, spricht Ṭaškubrīzādah von malaka, also von erworbenem Verhalten. Genauso wie die Aneignung nähme auch die Abgewöhnung dieses Verhaltens (malaka) Zeit in Anspruch. Schließlich könne laut Ṭāšköprüzādeh von ḫuluq erst dann die Rede sein, wie Īǧī zuvor erwähnte, wenn das fest verankerte Verhalten (malaka) auch ohne Zeitverzögerung und Reflektion mühelos ausgeführt wird. An dieser Stelle werden angeborene Elemente im Verhalten beachtet. Menschen hätten, abhängig vom jeweiligen Temperament (mizāǧ), von Geburt aus Neigungen zu gewissem Verhalten. Dabei stützt sich Ṭaškubrīzādah auf das von der antiken Humoralpathologie abgeleitete Persönlichkeitsmodell des Galen. Auf dieser natürlichen Basis entstehendes Verhalten wird ḫuluq tabiʿī genannt. Dahingegen sei ʿada jenes Verhalten, das entgegen dem mizāǧ, durch Einübung und mit anfänglich anstrengenden Bemühungen erworben wird. [3]

Menschliches Verhalten nach Ṭaškubrīzādah.png

Dieser ontologische Diskurs menschlicher Handlungen ist Voraussetzung für die anschließende Erläuterung, welche Handlungen eines Menschen aus ethischer Perspektive relevant sind.

Autor*innen und Quellenangaben

Dieser Artikel wurde verfasst von: Fatma Akan Ayyildiz.


Quellen:

  1. Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch Für Die Schriftsprache Der Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 1985, S. 362.
  2. ʿAḍud d-Dīn al-Īǧī, Risālat al-aḫlāq. Beirut: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 38.
  3. Ṭāšköprüzādeh, Šarḥ Risālat al-aḫlāq. Beirut: Dār al-Ḍiyā`, 2018, S. 60.