Murūʾa (Ehrgefühl, Mannhaftigkeit)

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Der Begriff murūʾa (oder auch muruwwa) stammt von dem arabischen Wort al-marʾ (zu Dt. Mann) und bedeutet etymologisch „Mannhaftigkeit“.[1] Murūʾa ist vor allem im vorislamischen und frühislamischen Sprachgebrauch zu finden.[2] Çağrıcı definiert murūʾa als einen „moralischen Begriff für menschlichen Tugenden und tugendhafte Handlungen.“[3] Das bei den vorislamischen Arabern vorherrschende moralische Ideal der murūʾa (Mannhaftigkeit) umfasste Tugenden wie Mut, Tapferkeit, Ausdauer, Stolz, Treue zur eigenen Sippe und der damit verbundenen sozialen Verpflichtungen, Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Vergebung. Für die Befolgung dieses Ideals war die treibende Kraft das „Ehrgefühl“ (karāma).[4] Der Begriff wurde in islamischen Werken rezipiert, jedoch wurde die Bedeutung eher auf die moralischen Eigenschaften des Menschen reduziert.[5] Bei den muslimischen Juristen bezeichnet es die Enthaltung von jeder Handlung, die gegen die Religion verstoßen könnte, obwohl sie keine unerlaubte Handlung darstellt.[6] In der Hadithwissenschaft wird "murūʾa" im Sinne der Einstufung, ob ein Tradent vertrauenswürdig ist, benutzt.

Koran und Hadith

Ar-Rāġib al-Iṣfahānī (gest. im ersten Viertel des 5./11. Jahrhunderts) beschreibt murūʾa als „spezifische Tugenden des Menschen“ und deutet auf die Bedeutungsnähe von murūʾa und insāniyya (Menschlichkeit) hin.[7] Im koranischen Sprachgebrauch ist murūʾa nicht zu finden. In Hadith-Sammlungen können wir dagegen Hadithe finde, die das Wort murūʾa beinhalten. So heißt es in einem Hadith, dass der Prophet Muhammad den ḫuluq (Charakter) des Gläubigen als murūʾa bestimmte.[8]

Hadithwissenschaft

In der Hadithwissenschaft gilt der Begriff murūʾa als die fünfte Bedingung für einen gerechten, damit vertrauenswürdigen Tradenten (rāwī). Er gibt wieder, dass der Tradent weder religiösen noch moralischen Normen zuwider handelt.[9]

Murūʾa in der adab-Literatur

Als ein Beispiel aus der adab-Literatur definiert Abū l-Ḥasan al-Māwardī (gest. 450/1058) murūʾa als die „Aufsicht der Zustände, um das Beste zu bewahren“. Die murūʾa hat zwei Funktionen. Vom Menschen selbst gehe keine beabsichtigte Bosheit aus und von anderen werde ihm keine Schmähung zuteil.[10]

Al-Māwardī behandelt die Bedingungen der murūʾa aus zwei Perspektiven: Die Bedingungen der selbstreferentiellen murūʾa einer Person (wörtl. šurūṭ al-murūʾa fī nafsihi) und die Bedingungen der murūʾa bezüglich des Anderen (šurūṭ al-murūʾa fī ġayrihi). Zu den Bedingungen der selbstrefentiellen murūʾa gehört die Einhaltung schariatischer Pflichten. Nach der Pflichterfüllung sieht al-Māwardī drei Tugenden als Bedingungen für die selbstreferentielle murūʾa: ʿiffa (Enthaltsamkeit, Züchtigkeit), nazāha, ṣiyāna.[11]

Literatur

Quellenangaben

Antes, Peter. Der Islam: Religion, Ethik, Politik. Stuttgart: Berlin: Köln: Kohlhammer, 1991.

B. Farès. "Murūʾa". Encyclopaedia of Islam, second edition. Leiden: Brill, 2012.

Çağrıcı, Mustafa. „Mürüvvet ”. TDV İslam Ansiklopedisi. İstanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2006.

Rāġib al-Iṣfahānī. aḏ-Ḏarīʿa ilā makārim aš-šarīʿa. Kairo: Dār as-Salām, 1405/1985.

Mālik b. Anas, Muwaṭṭāʾ.

Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013.

Weiterführende Literatur

  • Antes, Peter, Der Islam: Religion, Ethik, Politik, Stuttgart: Berlin: Köln: Kohlhammer, 1991.

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Bahattin Akyol.

  1. Antes, Der Islam, 61; Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, 1197.
  2. B. Farès, "Murūʾa".
  3. Çağrıcı, „Mürüvvet ”
  4. Antes, Der Islam, 61.
  5. Çağrıcı, „Mürüvvet ”.
  6. B. Farès, "Murūʾa".
  7. Al-Iṣfahānī, aḏ-Ḏarīʿa ilā makārim aš-šarīʿa, 143.
  8. Mālik b. Anas, Muwaṭṭāʾ, Kitāb al-Ǧihād, Bāb 15, Hadith Nr. 35(https://archive.org/details/waq5776_906/5776/page/n462/mode/2up)
  9. Çağrıcı, „Mürüvvet ”.
  10. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 515.
  11. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 519.