Adab (Gutes Benehmen, Verhaltensregeln)

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Der Begriff adab (pl. ādāb) bedeutet wörtlich "Einladung", "gutes Benehmen", "Höflichkeit", "Bewunderung und Lob". Im vorislamischen Arabien konnte adab Gewohnheit bzw. Verhaltenskodex bedeuten, die bzw. der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Mit der Ausdifferenzierung der islamischen Wissenschaften ab dem 3./9. Jahrhundert können wir beobachten, dass das Wort je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen annehmen konnte, wobei es auch als Synonym zum Begriff Sunna verwendet werden konnte. In diesem Sinne entspricht adab dem lateinischen Wort urbanitas, welches "zivilisiert" und "höflich" bedeutet.[1] Dem Wort adab selbst wohnt eine ethische Bedeutung inne, nämlich die der "Leitung der Menschen zum Lobenswerten und Abhalten von Schlechten [Dingen]".[2] Im jeweiligen Bedeutungskontext findet sich dieser Begriff fast in jeder islamischen Wissenschaftsdisziplin wieder. In der Sufi-Tradition hat der Begriff eine besondere Präsenz, das sich im al-Ḥaddād zugeschriebenen Zitat "Sufism resides entirely in adab (at-taṣawwuf kulluhu ādāb)" wiederspiegelt.[3] In der islamischen Rechtstradition (fiqh) werden unter dem Begriff adab (pl. ādāb) u.a. Normen aufgeführt, die empfehlenden Charakter haben, wie etwa der "Abschnitt zu den empfohlenen Handlungen bei der Gebetswaschung" (faṣl al-ādāb li-l-wuḍūʾ).[4]

Koran und Hadith

Im Koran ist adab in dieser Form nicht wiederzufinden. Der Wortstamm daʾb im Sinne von "Gewohnheit" wird dagegen an vier Stellen (Q 3:11; Q 8:52; Q 8:54; Q 40:31) und die duale Form dāʾibayn im Sinne von "beständig" in einem Vers (Q 14:33) erwähnt. In vielen Hadithen sind sowohl die Grundform adab als auch Derivate von adab mehrfach vorzufinden. Einige Hadith-Sammlungen beinhalten nur solche Hadithe, die über adab berichten. Ein Beispiel dafür ist das al-Adab al-mufrad vom berühmten Hadithgelehrten Muḥammad b. Ismāʿīl al-Buḫārī (gest. 256/870). Dieses Werk umfasst Hadithe, die über vorzügliche Handlungen hin zu Verhaltensregeln, wie etwa Tischmanieren berichten. In einem Hadith wird der Koran als das Mahl Gottes beschrieben (maʾdabat Allāh), was als Metapher für "Wissensquelle" gebraucht wird.[5]

Die Bedeutung von adab in unterschiedlichen Kontexten

Mit dem Aufkommen des Islam und spätestens ab dem 3./9. Jahrhundert wurde adab vieldeutig verwendet. Mit der raschen territorialen Expansion kamen Muslime in Austausch mit diversen Kulturen. Hinzu kamen systematische Übersetzungstätigkeiten: griechische, indische und persische Werke wurden ins Arabische übersetzt und muslimischen Gelehrten zugänglich gemacht. Damit hatten unterschiedliche Kulturen einen Einfluss auf das Bedeutungsspektrum dieses Wortes.[6]

Um einen Einblick in die Bandbreite der Bedeutungen von "adab" ab dem 3./9.Jahrhundert gewähren zu können, seien sie hier kurz aufgelistet:[7]

  1. Intellektuelle Bildung und moralische Lebensführung
  2. Fähigkeiten und Kenntnisse für bestimmte Berufe
  3. Gutes Benehmen und gute Erziehung
  4. Einwandfreies moralisches Verhalten, Verhaltensregeln
  5. Höflicher Umgang und kultiviertes Auftreten
  6. "schöngeistige Literatur", Texte in arabischer Sprache mit einem doppelten Anspruch, die Leser zu unterweisen und zu unterhalten.

Adab ist ein zentraler Begriff, der die humanistischen Inhalte und Ziele von Bildung und Ethik im klassischen Islam repräsentiert.[8]

Bedeutung des adab bei al-Māwardī

Der šāfiʿītische Jurist und Literat Abū l-Ḥasan al-Māwardī (gest. 450/1058) definiert in seinem Werk Adab ad-dīn wa-d-dunyā den Begriff adab bewusst nicht. Dies ist mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs zu begründen. So gebraucht al-Māwardī diesen Begriff in den jeweiligen Kapiteln des Werks mit unterschiedlichen Bedeutungen. Im zweiten Kapitel Adab al-ʿilm benutzt er adab im Sinne von intellektueller Bildung und Bildungsregeln.[9] Im Abschnitt Fī ādāb al-ʿālim und Fī ādāb al-mutaʿāllim behandelt er die Charaktereigenschaften des Lehrenden und Lernenden und die im Lehr- und Lernprozess zu beachtenden Regeln. Im Kapitel Adab ad-dunyā benutzt er adab im Sinne von Regeln (qawāʿid).[10] Die hier besprochenen Regeln setzen die Rahmenbedingungen für eine moralisch gute Welt und das Wohlergehen des Menschen in dieser. Im Kapitel Adab an-nafs benutzt al-Māwardī adab im Sinne von Erziehung der Seele bzw. des Charakters. Um auf die Erziehung als einen Prozess hinzudeuten verwendet er Formulierungen wie taʾdīb.[11] Al-Māwardīs Werke Adab al-wazīr und Adab al-qādī[12] behandeln die idealen Fähigkeiten und Kenntnisse, die in dieser Position erforderlich sind. Insbesondere die Erfahrung al-Māwardī als Wesir (Regierungsbeamter) und oberster Richter (qāḍī al-quḍāt) von Bagdad hatten großen Einfluss in der Entstehung dieser Werke.

Literatur

Quellenangaben

Catherine Mayeur-Jaouen und Luca Patrizi. "Ethics and Spirituality in Islam: Sufi adab". In Ethics and Spirituality in Islam Sufi adab, Leiden: Brill, 2016.

Ad-Dārimī. Musnad, Min kitāb faḍāil al-qurʾān.

Gabrieli, F. „Adab”. Encyclopaedia of Islam, second edition. Leiden: Brill, 2012.

Günther, Sebastian. „Bildung und Ethik im Islam“. In Islam Einhalt und Vielfalt einer Weltreligion, Hg. Rainer Brunner. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart: 2016.

Ibn Manẓūr. Lisān al-ʿarab. 3.Aufl.. Beirut: Dār aṣ-Ṣādir, 1414/1996.

Al-Kāsānī. Badāiʿu ṣ-Ṣanāiʿ. 2. Aufl.. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 1406/1987.

Al-Māwardī. Adab ad-dīn wa-d-dunyā. Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013.

Weiterführende Literatur

  • Bonebakker, Seeger A., Adab and the concept of belles-lettres. In ʻAbbasid belles-lettres ed. Julia Ashtian, T. M. Johnstone, J. D. Latham and R. B. Serjeant, Cambridge and New York: Cambridge University Press, 16-30.
  • Salvatore, A., Secularity through a 'Soft Distinction' in the Islamic Ecumene? Adab as a Counterpoint to Shari'a. Historical Social Research, 44(3), 35-51.

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Bahattin Akyol.

  1. Gabrieli, „Adab”.
  2. Ibn Manẓūr, Lisān al-ʿarab, I:206.
  3. Catherine Mayeur et. al., "Ethics and Spirituality in Islam: Sufi adab", 1.
  4. al-Kāsānī, Badāiʿu ṣ-Ṣanāiʿ, I:23.
  5. ad-Dārimī, Musnad, Min kitāb faḍāil al-qurʾān , Bāb 1, Hadith Nr. 3365.
  6. Günther, „Bildung und Ethik im Islam“, 219.
  7. Günther, „Bildung und Ethik im Islam“, 219; Gabrieli, „Adab”.
  8. Günther, „Bildung und Ethik im Islam“, 219.
  9. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 71.
  10. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 209 ff.
  11. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 367.
  12. Ursprünglich ein Kapitel aus seinem fiqh-Werk al-Ḥāwī al-kabīr, dass später als separates Buch veröffentlicht wurde.