Prozessieren

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Begriff


Vom lat. prōcessus 'das Vorwärts-, Fortschreiten' meint Prozessieren meist im Kontext des Computers eine Verarbeitung in irgendeiner Form. Übertragen, Speichern und Prozessieren gelten bei Kittler als die drei zentralen Medienfunktionen.[1] Prozessieren ist dabei erst einmal klar im Umfeld des Computers einzuordnen. Von einem Computer wird nicht nur erwartet, Daten zu übertragen und zu speichern, sondern sie zu verknüpfen, zu verändern oder sie umzuformen. Aufgezeichnetes soll nicht nur exakt wiedergebbar sein, sondern am Input sollen Operationen stattfinden, die einen Einfluss auf den Output haben, es soll prozessiert werden.


Medienwissenschaftliche Perspektive


Um dem Prozessieren habhafter zu werden, schlägt Hartmut Winkler ebenso wie Wolfgang Ernst vor, sich dieser dritten Medienfunktion über Zeit zu nähern. Die Prozessualität der hochtechnischen Medien scheint im höchsten Maße zeitkritisch zu sein. Alle Prozesse sind grundsätzlich zeitgebunden - alle Prozesse benötigen Zeit. Da es sich beim Prozessieren um ein Verarbeiten handelt, werden dessen Output erst im Verlauf der Zeit sichtbar.

Um Prozessieren schärfer zu begreifen, grenzt Winkler zuallererst die zwei weiteren Medienfunktionen ab. So beschreibt er die zwei anderen Medienfunktionen mithilfe von Kommunikation. Übertragung als klassische Telekommunikation, Fern-Kommunikation, Telefonie sowie Live-Fernsehen und Radio. Medien der Übertragung verfügen über eine Zeitachse und sind an den Ablauf der Zeit gekettet. Speichern beschreibt er als Kommunikation längs der Zeitachse. Durch Verräumlichung werden Dinge vom Ablauf der Realzeit entkoppelt. Mit Aufschreibesytemen wie Tonaufzeichnung oder Film werden Dinge gespeichert, die zu anderen Zeitpunkten der Rezeption wieder verzeitlicht werden, damit wieder ein neuer zeitlicher Ablauf entsteht (siehe Reproduktion).

Prozessieren lässt sich nicht mit Kommunikation erklären. Das Prozessieren ist nicht zwangsläufig an Kommunikation gebunden, sondern ist, so Winkler, ein eher einsamer Prozess. Anstatt in einer potenzielles Sender-Empfänger-Weise zu funktionieren, arbeitet jeweils der Sender oder Empfänger mit seinem Produkt, welches er prozessiert.

Symbolische Operationen und Prozessieren können das Material auf neue Weise um und anordnen. Diese Medien können über die Zeitachse selbst bestimmen. Auch wenn das Material selbst eine Zeitachse hat, koppelt dies sie von Einschränkungen der tatsächlichen Zeit ab. Zeit wird wieder ein Thema, wenn es zur Rezeption kommt und die Dinge wieder verzeitlicht werden müssen. Andererseits ist Zeit im Moment der Operation ein Thema, jede Schaltung benötigt Zeit.

Im Fall des Computers macht Winkler eine weitere Zeitebene auf. So spalten sich Programme in eine Phase des Programmierens und eine Phase, in der das Programm ausgeführt wird. An der Ausführung des Programms ist kein menschliches Subjekt mehr beteiligt, die Veränderungen laufen ohne ein solches Zutun ab. Eine weitere Besonderheit ist, dass im Falle des Computers der Inhalt, der Content selbst die Prozesse anstößt und steuert: "Gleichzeitig ist es hier der Content selbst, der prozessiert."[2], Winkler weiter: "Meine These ist, dass die Computer nicht mehr wie der Film Vorgänge in der Welt, sondern das Arbeiten der symbolischen Systeme selbst der Reflexion zugänglich machen. Dies wäre für mich der entscheidende Unterschied zwischen der Repräsentation von Zeit und Bewegung auf der Ebene des Contents, wie sie die traditionellen, zeitgebundenen Medien bieten, und den Rechnern, die das Prozessieren selbst zum Gegenstand machen."[3].

Prozessierende Medien gehorchen eigenen Logiken und haben eine Eigenzeit, die sich menschlicher Wahrnehmung entzieht. Dennoch, so stellt Wolfgang Ernst immer wieder klar, benötigt jede Schaltung, jede Rechenoperation Zeit. So ist die Zeit und deren Unumkehrbarkeit entscheidend fürs Prozessieren. Prozessieren ist durch die Notwendigkeit des Zeitverbrauchs an die reale Welt zurückgebunden. "Der Computer als Mathematik im medientechnischen Vollzug ist nicht schlicht eine symbolverarbeitende Maschine, sondern in seinen radikal zeitkritischen Weisen mithin eine komplexe Zeitmaschine."[4]


Artefakte


Alle technischen Medien, die rechnende Operationen durchführen, sind Artefakte des Prozessierens.


Weiterführendes


Sehr zu empfehlen ist hier Hartmut Winkler, Prozessieren. Die dritte vernachlässigte Medienfunktion. Wilhelm Funk München. 2011

Textverweise


  1. vgl. Friedrich Kittler, Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig 1993. S. 8
  2. Hartmut Winkler, Prozessieren. Die dritte vernachlässigte Medienfunktion. Wilhelm Funk München. 2011 S.303.
  3. ebd. S. 306.
  4. Wolfgang Ernst, Chronopoetik. Kadmos Berlin 2012. S. 298 f.