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Im Eintrag Themenspeicher sind Vorschläge für weitere Artikel gelistet, die das Lexikon erweitern und bereichern würden. Studierende, Mitarbeiter_innen und Interessierte, die selbst einen Eintrag verfassen wollen, sind dazu herzlich eingeladen und finden alle Informationen hier: Anleitung für Einträge.


Zeitwörter

"Medientheorien akzentuieren die Loslösung der Information vom Raum. Die inverse Seite dieses Prozesses gerät dabei außer Sichtweite: dass nämlich zeitkritische Prozesse sich damit umso mehr in die Medien selbst verlagern. [...] Damit ist Medientheorie der Ort, Zeitbegriffe im medialen Wandel präzise zu reflektieren."[1]


Zeit zur medientheoretischen Reflexion

Medienzeit und zeitkritische Prozesse sind zentrale Themen der Berliner Medienwissenschaft. Technische Medien agieren mit oder in der Zeit: ob Speicherprozesse (die Zeitfunktionen zu einer späteren Zeit wieder vergegenwärtigen), Übertragungsprozesse (die nur stattfinden können, weil Zeit in Zeitsegmente zerlegt wird) oder zeitkritische Medienprozesse (die der menschlichen Zeitwahrnehmung vorgaukeln, instantan und nicht in der Zeit zu agieren).

Warum Zeit das Thema dieses Lexikons ist, ist im Fokus der Berliner Medienwissenschaft begründet und gerechtfertigt durch die Prozessualität der Medien selbst. Im Zentrum der Forschung des Lehrstuhls für Medientheorien steht die "Erforschung von Praktiken, in denen mediale Operationen im elektronisch-digitalen Verbund selbst zeitkritisch werden"[2]. In diesem Wiki wird der Stand dieser Forschung und die Arbeit der Berliner Medienwissenschaft wiedergespiegelt.

Der Versuch, Zeitwörter als solche zu benennen, einzuteilen und zu klassifizieren, beruht auf der Konzeption des Masterseminars "Zeitwörter - Ein Lexikon zeitbasierter und -kritischer Medien", welches Prof. Dr. Wolfgang Ernst im Sommersemester 2017 angeboten hat. In diesem Rahmen näherten wir uns nicht nur verschiedenen Phänomenen und Techniken an, sondern beschäftigten uns auch mit dem Versuch der Begriffsfindung und der Klassifizierung. Edmund Husserl spricht in seinen Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins von "Zeitobjekte[n] [als solche] Objekte, die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten"[3]. Zwar meint Husserl hier im Jahr 1928 noch nicht die gleiche "Eigenzeit", die wir heute den prozessierenden Medien, den berechnenden und schaltenden Technologien zuschreiben. Und trotzdem können wir den Begriff der Zeitobjekte auf unser Anliegen übertragen. Und so begreifen wir technische Medien in ihrer Eigenschaft, Zeit zu induzieren und leiten daraus eben solche Zeitobjekte ab.

Deshalb ist es an der Zeit Zeitwörter zu betrachten. Neben einer Einleitung zum Thema Zeit sollen im Zeitlexikon medienwissenschaftliche Perspektiven auf Zeitwörter eröffnet und ein Nachschlagewerk für Studierende und Interessierte aufgebaut werden. Ziel ist es, das Wiki als Arbeitsinstrument weiterzuentwickeln und Kommiliton_innen dafür zu gewinnen, selbst Einträge zu verfassen.

"Überwachen. Beobachten. Die Humanwissenschaften überwachen, die Naturwissenschaften beobachten. [...] Arm nenne ich etwas, dem es an Objekten fehlt."[4]
In diesem Zitat des Philosophen Michel Serres finden sich gleich drei Bestrebungen Berliner Medienwissenschaft wieder, die es in diesem Wiki auch auszuleuchten gilt: kritisch an anthropozentrischen Theorien arbeiten, nah an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Beobachtungen argumentieren und ihre Präzision weiterführen und drittens Objekte in Argumentationen einbeziehen. Die Eskalation (und Wunschvorstellung) der hiesigen Medientheorie wäre es, die Medien sich selbst schreiben/sprechen zu lassen. Medien agieren immer auch als Zeitzeugen. Der Artefaktenfundus soll "hart am Gerät" Funktionsweisen der Medien in Verbindung mit den Zeitwörtern veranschaulichen, da sich erst mit Apparat und im Vollzug die Zeitweisen der Medien zeigen.

In diesem Wiki werden Zeitwörter medienwissenschaftlich diskutiert und zugehörige Artefakte beschrieben. Unser Anspruch ist es, die Artefakte und Prozesse möglichst (technisch) genau zu beschreiben und die Zeitwörter in den Medienbegriff und Diskurs der Berliner Schule einzuordnen. Unser Anspruch ist es nicht, ein vollständiges Bild philosophischer und intra-medienwissenschaftlicher Debatten zu zeichnen, sondern direkt am Begriff zu arbeiten um diesen als medienwissenschaftliches Zeitwort zu erläutern.

Hierbei ist es kein direktes Anliegen, eine Lektüreliste forschungsrelevanter Werke oder Autoren zu liefern. Trotzdem sollen die Mütter und Väter der Grundideen der Berliner Schule selbstverständlich genannt und ihre Ansätze eingebunden werden. In den Artikel soll aber vor allem auf Literatur verwiesen werden, die für den Leser oder die Leserin hilfreich ist, um sich dem jeweiligen Thema (medienwissenschaftlich) anzunähern.

Als Grundlagenwerke, um sich zeitbasierten und -kritischen Medienprozessen zu nähern und die Herangehensweise(n) der Berliner Medienwissenschaft nachzuvollziehen ist die Lektüre der beiden Werke des Lehrstuhlinhabers Prof. Dr. Wolfgang Ernst nahezulegen: "Gleichursprünglichkeit" und "Chronopoetik". Die Werke helfen nicht nur zum tieferen Verständnis der Themen, sondern auch zum Einordnen der Diskussionen in größere philosophische Diskurse.


Lexikon (Stand 31.10.2017)

Zeitwort Artefakt
Action Anrufbeantworter
Archiv Bildtelegraph
Asynchronous Computing Chronoskop
Echtzeit Mercury Delay Line
Eigenzeit Metronom
Entropie Pendel
Ergodizität Swatch-Internetzeit
Gedächtnis Tennis for two
Gleichursprünglichkeit Williamsröhre
Gleichzeitigkeit
Live
Ping
Prozessieren
Reaktionszeit
Regelkreis
Rekursion
Reproduktion
Sampling
Streaming
Synchronisation
Takt
Time bias
Uhrzeit
Zeitachsenmanipulation
Zeitsinn

Kleine Poesie zum Einstieg

Das Wort Zeit

Die Zeit ist ein Hauptwort. Das Hauptwort bildet keine Zeit. Da die Zeit ein Hauptwort ist, bildet die Zeit keine Zeit.

Wie das Hauptwort keine Zeit bildet, bildet das Hauptwort keine Leideform. Die Zeit ist ein Hauptwort. Da die Zeit ein Hauptwort ist, bildet die Zeit keine Leideform.
Die Leideform ist ein Hauptwort. Das Hauptwort bildet keine Leideform. Da die Leideform ein Hauptwort ist, bildet die Leideform keine Leideform. Aus demselben Grund bildet die Leideform keine Zeit.

Wie das Hauptwort weder Zeit noch Leideform bildet, bildet das Hauptwort keine Möglichkeitsform. Die Zeit ist ein Hauptwort. Da die Zeit ein Hauptwort ist, bildet die Zeit keine Möglichkeitsform.
Die Möglichkeitsform ist ein Hauptwort. Das Hauptwort bildet keine Möglichkeitsform. Da die Möglichkeitsform ein Hauptwort ist, bildet die Möglichkeitsform keine Möglichkeitsform. Aus demselben Grund bildet die Möglichkeitsform keine Zeit.
Das Hauptwort bildet keine Leideform. Die Möglichkeitsform ist ein Hauptwort. Da die Möglichkeitsform ein Hauptwort ist, bildet die Möglichkeitsform keine Leideform. Aus demselben Grund bildet die Leideform keine Möglichkeitsform.

Wie das Hauptwort weder Zeit noch Leideform noch Möglichkeitsform bildet, bildet das Hauptwort keine Person. Die Zeit ist ein Hauptwort. Da die Zeit ein Hauptwort ist, bildet die Zeit keine Person.
Die Person ist ein Hauptwort. Das Hauptwort bildet keine Person. Da die Person ein Hauptwort ist, bildet die Person keine Person. Aus demselben Grund bildet die Person keine Zeit.
Das Hauptwort bildet keine Leideform. Die Person ist ein Hauptwort. Da die Person ein Hauptwort ist, bildet die Person keine Leideform. Aus demselben Grund bildet die Leideform keine Person.
Das Hauptwort bildet keine Möglichkeitsform. Die Person ist ein Hauptwort. Da die Person ein Hauptwort ist, bildet die Person keine Möglichkeitsform. Aus demselben Grund bildet die Möglichkeitsform keine Person.

Im Gegensatz zum Hauptwort bildet das Zeitwort Leideform, Möglichkeitsform, Person und Zeit. Das Zeitwort aber ist ein Hauptwort. Das Hauptwort aber bildet im Gegensatz zum Zeitwort weder Leideform noch Möglichkeitsform noch Person noch Zeit.
Also auch das Zeitwort bildet keine Zeit.

(Peter Handke)


Textverweise

  1. Wolfgang Ernst: Medienwissen(schaft) zeitkritisch. Ein Programm aus der Sophienstraße Antrittsvorlesung. 21. Oktober 2003. S. 19. Online unter: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/2327/Ernst.pdf?sequence=1&isAllowed=y. Zuletzt abgerufen am: 30.10.2017.
  2. Wolfgang Ernst: Medienwissen(schaft) zeitkritisch. S. 3.
  3. Edmund Husserl (1928): Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins. In: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung. Bd. IX. hrsg. von Martin Heidegger. Tübingen 1980. S. 18.
  4. Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt 1994. S. 44.