Gleichzeitigkeit

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Begriff


Die Wortbedeutung ist zunächst offensichtlich. Prozesse, die zueinander gleichzeitig ablaufen, also da, wo Gleichzeitigkeit stattfindet, befinden sich in der gleichen Zeit. In dieser Form mutet der Begriff schon überflüssig an, denn alles lässt sich möglicherweise nur in der gleichen Zeit beschreiben. Relevant ist hierbei die Ordnung der Beobachtung. Denn für diese ist Gleichzeitigkeit die Hauptbedingung. Der Begriff der Gleichzeitigkeit ist in technischen Kontexten eng an Synchronisation verknüpft, sollte aber von diesem entkoppelt verstanden werden.


Medienwissenschaftliche Perspektive


Gleichzeitigkeit ist zunächst ein Phänomen, oder eine Möglichkeit, die Prozesse im Vergleich zueinander eingehen können. Um Gleichzeitigkeit feststellbar zu machen, ist der unmittelbare Zeitvergleich nötig. Gleichzeitigkeit an sich ist unkontrollierbar. Sie findet einfach statt. “Alles, was geschieht, geschieht gleichzeitig” [1]. Gleichzeitigkeit ist die Grundvoraussetzung um Systeme oder Prozesse miteinander zu vergleichen. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann sieht Gleichzeitigkeit als einen Aspekt der Differenzierung von System und Umwelt an. Denn unter der Aufhebung von Zeitunterscheidung werden Sachunterschiede sichtbar. Für die Medienarchäologie wird nicht nur das Herstellen der Gleichzeitigkeit, also die Synchronisation von Einheiten, sondern auch die Bedeutung der Beobachtung interessant. Denn das Betrachten zeitkritischer Momente ist wesentlicher Bestandteil der Forschung und nur durch die klare Unterscheidung von Sachverhalten möglich. Das Paradoxon der Beobachtung von Systemen liegt wiederum in der Zeitlichkeit: Denn wie beschrieben können sie nur betrachtet werden, wenn sie durch eine Grenze getrennt und durch sie gleichzeitig gegeben sind. Trotzdem sind sie nicht gleichzeitig nutzbar, denn die Betrachtung erfordert ein Kreuzen dieser Grenzen, also eine Operation und somit Zeit. Die beiden Seiten, die beobachtet werden, sind gleichzeitig in einem Vorher-Nachher-Verhältnis gegeben.[2] Der medienarchäologisch vorgehende Beobachter stellt sich diesem Paradoxon oder umgeht es, indem er die Gleichzeitigkeit als Struktur des Unterscheidens übernimmt. Es gilt also, viel mehr Zeitunterschiede und somit das Prozesshafte technischer Medien zu betrachten als Zeitpunkte.

Gleichzeitigkeit ist überdies ein Ziel, ein Idealzustand zahlreicher Kommunikationsprozesse, die synchronisiert werden müssen (siehe Telegrafie, und "Phasenverschiebung" in Zeitachsenmanipulation). Das Herstellen von Gleichzeitigkeit ist immer an eine apparative Implementierung gebunden, da die menschliche Reaktionszeit zu Schwankungen und Ungenauigkeiten führt. Der Versuch "Beobachtungsleistungen auf Gleichzeitigkeit hin zu synchronisieren, markiert einen, wenn nicht sogar den entscheidenden Riß im Gefüge eines einheitlichen Aussagenraums vor jeder Trennung in Natur- und Geisteswissenschaften."[3]. Gleichzeitigkeit markiert hier zwei Umbrüche: Zum einen ist es etwas natürliches, das es zur Herstellung nötig macht, natürliche Zeit zu überlisten. Und zum anderen kann das nicht durch den Menschen geschehen, es wird Technik notwendig. Techniken und Technologien seit der Telegrafie erfordern Gleichzeitigkeit mehrerer Systeme, andere Techniken übernehmen diese Aufgabe seitdem. Die Utopie der Messtechnik liegt in dem Wunsch begründet, dass das Ereignis sich selber schreibt.[4] [5]


Artefakte


Es können keine Artefakte benannt werden, da Gleichzeitigkeit ein Zustand, etwas Grundlegendes ist, das nicht hergestellt, abgeschafft oder bemessen werden kann.


Weiterführendes


Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung 5 - Konstruktivistische Perspektiven. Opladen 1993. S. 95-130.


Textverweise


  1. Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung 5 - Konstruktivistische Perspektiven. Opladen 1993. S. 98.
  2. vgl. Luhmann: Soziologische Aufklärung. S. 100.
  3. Christian Kassung, Albert Kümmel: Synchronisationsprobleme. In: Signale der Störung. München 2003. S. 145.
  4. vgl. Kassung, Kümmel: Synchronisationsprobleme. S. 146.
  5. Hierin liegt auch die Utopie der Medienarchäologie: Die Medien sich selbst sprechen lassen.