Ergodizität

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Begriff


Ergodizität (aus dem griechischen zusammengesetzt aus έργον: "Werk" und όδος: "Weg") ist eine Eigenschaft, die in der Physik in dynamischen Systemen untersucht wird. Dabei wird das mittlere Verhalten eines Systems beschrieben. In der Medienwissenschaft wird der Begriff als Gegenpol zur Narrativität und Chronologie beschrieben und im Kontext der (Er)zählung digitaler, berechnender Technik verwendet.


Medienwissenschaftliche Perspektive


Um das Prinzip der Ergodik zu verstehen, muss zwischen analogen und digitalen Medien bezüglich ihres erzählenden Charakters unterschieden werden: "Der Film als Bewegungsfolge übt Mimesis an dem vom Menschen als stetig empfundenen Zeitfluss; digitale Medien aber üben Mimesis auf der Ebene des Codes."[1]. Während im analogen Film oder auf einer Schallplatte die Narrativität des Medieninhalts klar mit der Anordnung, Struktur, der Logik des Mediums verknüpft ist, im klassischen Sinne "in das Medium eingeschrieben ist", bleibt die Ordnung der Erzählung im digitalen Computerspiel hinter der Narrativität des Medieninhalts (also der Geschichte, die im Spiel erzählt wird), verborgen. Im Computer gibt es keine chronologische Zeit, "vielmehr eine Verzeitlichung eines logischen Raums"[2]. Narrativität wird nur auf performativer Ebene erzeugt. Dahinter liegen Diskontinuitäten, Berechenbarkeit und Zeitachsenmanipulation.

In der Digitalität rückt die Zahl als invariante Naturkonstante an die Stelle der Erzählung, die auf der Kombination, Anordnung und Kontextualisierung sprachlicher bzw. schriftlicher Zeichen beruht. In der zählenden Struktur des Computer gibt es keine Kontextualisierung. Binäre Technologie als berechnendes, springendes, genaues Verfahren wird zur kulturellen Handlungsform und bricht so mit der Chronologie als Muster der Erzählung. Und in diesem Wesen des realen, mit physischen Einheiten rechnenden Maschinellen, werden die Operationen der Erzählung zeitkritisch.[3]

Die semiologischen Möglichkeiten eröffnen sich nicht durch Redekunst, die Qualität einer Aufnahme oder die Beschaffenheit eines Bild- oder Tonträgers, sondern lediglich durch die Präzision in der Konstruktion, der Umstrukturierung und die permanente Aktualisierung des Algorithmus'. Und darin steckt der Begriff der Ergodizität, der ergodischen Kunst[4]: Denn die Erzählung des digitalen Computerspiels entsteht neu mit/in/nach jedem Rechenschritt. So werden Kontrollsrukturen der Programmierung wie Schleifen und Sprünge nicht nur möglich zur Konfigurierung des Algorithmus', sondern konstituieren sich als digitale Stilfiguren. Eine Erzählung der bzw. durch die Digitalität entsteht im Prozessieren nicht in der Wiedergabe des Eingeschriebenen.


Artefakte


The speaking clock: https://www.youtube.com/watch?v=ZHyni32CyQA


Weiterführendes


Um Ergodizität am Beispiel eines Computerspiels (genauer "Doom") nachzuvollziehen, empfiehlt sich folgender Aufsatz: Espen Aarseth: Aporia of Epiphany in Doom and The speaking Clock. The Temporality of Ergodic Art. In: Cyberspace Textuality. Computer Technology and Literary Theory. hrsg. von Marie-Laure Ryan. Bloomington/Indianapolis 1999. S. 31-42.

Um ergodische Kunst im mehrfachen Sinne zeitkritisch betrachten zu können, ist "The speaking clock" von John Caley nicht nur ein interessantes Projekt, sondern wohl epistemologische Medienkunst. Um einen Überblick über die Theorie dieser Uhr zu erhalten empfehlen sich folgende Notizen: Wolfgang Ernst: Agenda 2000 2.0. Kritik und Krise der Narrativität in technischen Medien und in der Mediengeschichtsschreibung. S. 82-88. Online unter: https://www.musikundmedien.hu-berlin.de/de/medienwissenschaft/medientheorien/skripte/agenda-2000-2-0.pdf/view. Zuletzt abgerufen am: 29.10.2017.

Textverweise


  1. Wolfgang Ernst: Chronopoetik: Zeitweisen und Zeitgaben technischer Medien. Berlin 2013. S. 279.
  2. Ernst: Chronopoetik. S. 279.
  3. Ernst: Chronopoetik. S. 279-280.
  4. Espen Aarseth: Aporia of Epiphany in Doom and The speaking Clock. The Temporality of Ergodic Art. In: Cyberspace Textuality. Computer Technology and Literary Theory. hrsg. von Marie-Laure Ryan. Bloomington/Indianapolis 1999. S. 32.