Elektrische Pendeluhr
Aus Medienarchäologischer Fundus
Grunddaten
Inventarnummer: | 0049 |
Land: | Frankreich |
Hersteller: | Bulle |
Baujahr: | 1918-1939 |
Modell: | Bulle Clock |
Beschreibung
- Die Funktionsweise
basiert auf einer Reaktion zwischen einem Permanentstabmagneten und einer elektrischen Spule. Daher rührt ihre Klassifikation als elektromagnetische Uhr. Die Spule ist dabei ein Teil des schwingenden Pendels.
Wenn das Pendel in Bewegung ist, schließt und öffnet es den elektrischen Kontakt an Stift und Gabel (Pin und Fork). Strom fließt für einen Sekundenbruchteil, induziert die Spule und produziert ein Magnetfeld um die Spule herum.
Dieses Magnetfeld steht senkrecht zu demjenigen im Stabmagneten. Dadurch entsteht ein Impuls, der auf die Spule wirkt und damit das Pendel (vom zentralen magnetschen Nordpol weggerichtet) antreibt.
Der Bulle Magnet ist einzigartig und seine Existenz bedarf der Erläuterung. Er ist aus Kobalt in Bogen- oder U-Form hergestellt und verfügt über drei magnetische Pole! Dadurch entsteht ein starkes Magnetfeld am Zentrum. In diesem Punkt stehen die Kraftlinien lotrecht zur Achse des Magneten.
Wenn die Spule am Zentrum ihrer Schwungbewegung (am Zentrum des Stabmagneten) einen Stromimpuls erhält, schneidet das Magnetfeld der Spule das Feld des Magneten, erzeugt eine entgegengesetzte Reaktion und treibt das Pendel an.
[Beachte: das Diagramm zur linken ist nicht korrekt. Die Feldlinien der Spule strahlen nicht nach außen („Claimed“). Die Feldlinien richten sich entlang der Spule und wirken rechtwinklig zum Feld des Magneten („Actual“). Bemerkenswert ist außerdem, dass dieses einzigartige Design gleichzeitig seinen Verfall bedeutet. Dem Design wohnt inne, dass Demagnetisierung gewiss ist, weil die magnetischen Bereiche im Zentrum des Magneten in konstanter Opposition zueinander stehen.]
- Technische Konstruktionsdetails:
Es ist nicht augenscheinlich, aber die Bulle ist in polempfindlich. Wenn die Batterie falsch herum angeschlossen wird, wird die Uhr nicht laufen. Das hängt von der Windungsrichtung der Spule und vom Magneten ab.
- Der Antrieb der Uhr:
Der Silberstift und der Gabelkontakt müssen vollkommen sauber sein. Selbst die geringste Patina werden die Uhr wegen der geringen Spannung und dem geringen Kontaktdruck stoppen.
- Funktion von Gabel und Stift:
Im folgenden wird die Ereignisabfolge bei schwingendem Pendel beschrieben. Der Stift schließt nur mit der obersten Ecke der Gabel Kontakt und die Kontakdauer ist sehr gering (~190 ms). Eine Faustformel für eine gutjustierte Uhr ist etwa 25% Kontaktdauer im Verhältnis zur Pendelperiode. Die Silberkontaktfeder und alle Kontaktteile müssen fein gesäubert sein und dürfen niemals geölt werden.
- Isochronismus:
Um Schwankungen der Batteriespannung auszugleichen, ist die Bulle clock mit einem Isochronismus Korrektor ausgestattet, der durch seine Anordnung bei jeder Schwingung eine verzögernde Kraft auf das Pendel ausübt. Diese startet bei null und steigert sich mit der Amplitude. Zusätzlich zur Gravitation ermöglicht dies der Uhr eine konstante Rate auch bei Amplitudenschwankung zu erreichen.
- Isochronischer Federanhang:
- Pendelaufbau:
Beachte die Lücke in der Seite der Spulenscheibe ("Coil Former"). Die Scheibe ist aus Messing und würde ohne Lücke einen Kurzschluss erzeugen. Der Stromverlust würde ausreichen, die Uhr zu stoppen.
- Angaben zum Betrieb:
Bulle Clocks wurden für 1,5 V Gleichstrom entworfen und durch ihre geringe Spannungsaufnahme sollte eine moderne Babyzelle über ein Jahr halten. Wenn die Uhr nicht mit 1,5 V läuft, dann liegt das an einem Problem im Stromkreis. Der Stromkreis ist sehr einfach: nur eine Batterie, ein Schalter und eine Spule in Serie. Die Spule hat einen Nominalwiderstand von 1100 bis 1200 Ω, abgeleitet aus einer Windung von 0,071 mm emailliertem Kupferdraht. Im Normalbetrieb liegt die Spitzenstromstärke bei 1,3 mA. Die Durchschnittsstromstärke ist weitaus geringer ~0,325 mA), weil nur sehr kurz Strom durch die Spule fließt.
Bei der Restaurierung einer Bulle ist zu beachten, dass der Mechanismus höchst einfach ist, aber aus vielen kleinen Teilbereichen zusammengesetzt ist. Der Stromkreis mag sehr einfach sein, es gibt allerdings Kontaktpunkte über den gesamten Stromkreis, die alle sauber und einwandfrei sein müssen, damit ein möglichst widerstandsloser Kontakt gewährleistet ist.
Ein guter Test für den Stromkreis ist, ein 1,5 V Batterie anzuschließen. Wenn die Uhr nicht läuft, dann herrscht an einem der Kontakte ein zu großer Widerstand oder der Magnet hat nachgelassen. Wenn alle Kontakte verbunden und sauber sind und die Uhr nicht läuft, wird mit einer 9 V Batterie getestet. Wenn die Uhr jetzt läuft, dann ist der Stromkreis in Ordnung, aber die Magnetstärke muss in Frage gestellt werden.
Wenn sonst nichts hilft: Remagnetisieren Wie oben angesprochen, wird die Stärke des Magneten durch natürliche Reorientierung mit der Zeit an Stärke abnehmen. Dafür ist der Bulle Magnet sehr anfällig wegen der zwei entgegengesetzten Nordpose im Zentrum. Dadurch stehen die magnetischen Felder in permanenter Maximalopposition und bei dem verhältnismäßig schwachen magnetischen Material der Zwischenkriegszeit ist Demagnetisierung eine Frage des 'wann' und nicht des 'ob'.
Ein Permanentmagnet kann wieder erstarkt werden, indem man ihm einen besonders starken magnetischen Feld aussetzt. Aber wie stellt man den seltsamen Bulle 3-Polmagneten her? Indem man einen mit schwerem Stoff isolierten 1 mm Kupferdraht um den Magneten wickelt (s. Abb.) und kurz einen starken 12 V Gleichstrom anschließt.
Der Draht muss unbedingt gemäß der Wicklung auf der Abbildung um den Stab gewunden werden. Wickle eine einzige dichte Lage mit 1 mm Kupferdraht, ohne Freiraum zwischen den benachbarten Windungen. Stelle sicher, dass der Draht keinen elektrischen Kontakt zum Magneten schließt (schwerer Stoff als Isolator).
Beachte: Diese Methode ist oft angewandt worden, ist aber sicherheitstechnisch nicht zu empfehlen. Wenn der Draht sich am Batterieanschluss an die Batterie verschweißt, wird ein massiver Strom fließen -- die Anschlüsse, die Spule und und der Magnet überheizen sich dann stark. Dadurch entsteht das Risiko empfindlicher Verbrennungen und die Batterie nimmt Schaden. Nach Möglichkeit sollte ein richtiger Magnetisierungsstromkreis benutzt werden.
- Medienarchäologische Verweise:
Letztlich ist die Bulle Clock nichts weiter als eine über den epistemologischen Feinentwurf des Dreipolmagneten geschickte Ingenieursanwendung der Erkenntnisse Hans Christian Orsteds und Michael Faradays. Die Stromstärke oder die Höhe der in der Spule induzierten Spannung hängt unter anderem von der Schnelligkeit der Feldänderung ab; es gibt einen Schwellenwert (Hysterese), unterhalb dem überhaupt keine Induktion stattfindet, wenn die Bewegung ultralangsam ist. Es handelt sich hier um ein Spiel von elektromagnetischer Induktion und und mechanischer Umsetzung. Das Resultat dieser Allianz (die Spule pendelt entlang einem Ferritstab) ist Zeit als Botschaft des realen Mediumvorgangs symbolisch ablesbar auf dem Ziffernblatt der Uhr. Die wahre Botschaft dieser Beschreibung ist das Ereignis des elektromagnetischen Felds, das in Kopplung mit einem Räderuhrwerk tatsächlich wieder zur Zeit(angabe) wird, zeitigt.
- Die Erfinder:
Die elektrischen Uhren von Bulle wurden in Frankreich unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt. Im beginnenden Zwanzigsten Jahrhundert war die batteriebetriebene Uhr Gegenstand intensiver Bemühungen in Europa, dem Vereinigten Königreich und den USA. Zwei ursprünglich unabhänig voneinander am Elektromagnetismus und an Uhrwerken arbeitende Franzosen taten sich zusammen und entwarfen die Bulle Clock.
Professor Marcel Andre-Moulin war Dozent der Chronometrie an der Wissenschaftsfakultät Bensancon bevor er Direktor des Instituts wurde. Etwa 1912 hatte Andre-Moulin ein elektromagnetisches System entwickelt, in dem ein dreipoliger Wolframmagnet eingesetzt wurde. Dieses System wurde 1914 Grundlage einer elektrischen Uhr.
Maurice Favre-Bulle ist Sprößling einer Uhrmacherfamilie in Bensancon. Er studierte von 1885 bis 1888 an der Ecole d'Horolgerie de Bensancon, bevor er gemeinsam mit seinem Bruder die Uhrenfabrik seiner Familie übernahm. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er an den Ingenieurlaboren der Wissenschaftsfakultät Paris, wo er Timer, Uhren und Telegraphensysteme für das Miltiär entwickelte.
Nach Kriegsende gründete Favre-Bulle gemeinsam mit Marius Lavet die Societe Bulle et Cie., um prototypische elektrische Uhren zu entwickeln.
1920 meldete Favre-Bulle eine elektrische Uhr zum Patent an. Die Patentinhaber waren Favre-Bulle und Madame Veuve Andre-Moulin, die Witwe von Marcel Andre-Moulin. Im Anschluss ging es an die wirtschaftliche Verwertung des Patents. Im Zuge dessen wurde 1920 die Compagnee Generale des Appareils Horo-Electrique gegründet, um die kommerzielle Produktion der Bulle Clock voranzubringen.
Geschätzte 300.000 Uhren wurden zwischen 1920 und 1952 produziert. Das Prinzip aus dem Originalpatent kam bei all diesen Uhren in über 100 verschiedenen Gehäusedesigns zum Einsatz. Der Antrieb blieb auch trotz neuer Materialien wie Aluminium, Bakelit oder Chrome unverändert. Ab 1934 wurden auch in England Bulle Clocks gefertigt. Diese waren im Vergleich zu den französischen Uhren leichtere und kostengünstigere Modelle. (leichteres Anzeigenmetall, Stahl- anstelle von Messingblech, kleinere Halbbogenmetalle usw.)
Favre-Bulle starb im April 1954 im Alter von 84 Jahren. Die Produktion wurde eingestellt, weil er keine Erben hatte und die Transistorentechnologie die Bulle-Technologie veralten ließ.
(Erweiterte, ansonsten weitgehend wörtliche Übersetzung von http://www.aussieclocks.com/articles/bulle/bulle.html.)
Links
http://www.hwynen.de/bulle.html
http://www.youtube.com/watch?v=yueH7pX3CEM