Wasserwaage

Aus Medienarchäologischer Fundus

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Der Text auf dieser Seite wurde von Hélène Essounga-Essounga als Hausarbeit im Seminar "Das Studium technischer Dinge – Medienarchäologie konkret" bei Prof. Dr. Wolfgang Ernst im Sommersemester 2016 eingereicht.

Einleitung

Die Wasserwaage – ein gewöhnliches Messinstrument, welches sich in vielen heimischen Werkzeugkästen finden lässt. Doch warum wird ein Exemplar im Medienarchäologischen Fundus der Humboldt-Universität aufbewahrt? Welchen Erkenntniswert kann eine Wasserwaage in Hinblick auf Medien bringen?

Allgemeines zur Wasserwaage

Das Messen mit Wasserwaagen ist eine der ältesten und dennoch genauesten analogen Messtechniken, die zur horizontalen oder vertikalen Ausrichtung eines Objektes verwendet wird. Die Wasserwaage besteht aus einer gefassten Libelle, die zu den Messflächen hin ausgerichtet ist. Über die Jahrhunderte hinweg blieb der wesentliche Aufbau der Wasserwaagen nahezu gleich. Um sich jedoch den gestiegenen Anforderungen an Messtechniken anzupassen, wurden Wasserwaagen im letzten Jahrhundert mittels neuer Materialien verbessert.

Abb. 1 - Aufbau einer Wasserwaage (genau dieses Modell liegt im Fundus vor - Inventarnummer: 0082)

Geschichte

Melchisédech Thévenot (*um 1629; † 1692 in Issy) war ein französischer Naturforscher und Schriftsteller. Er gilt als der Erfinder der Wasserwaage. Thévenots wissenschaftliche Arbeiten sind umfangreich. Er studierte unter Anderem Astronomie, Physik und Mathematik. Anfang 1661 erfand er die Röhrenlibelle, die er mit Alkohol füllte und auf ein Steinlineal montierte.

Thévenot füllte ein Glasrohr beinahe ganz mit Weingeist, schmolz es dann zu und schuf so die heute noch übliche Wasserwaage. Das „Instrumentum Thevenotianum“, wie die Wasserwaage ursprünglich hieß, wurde im Jahr 1775 durch Felice Fontana verbessert, der an der Stelle der Luftblase einen luftleeren Raum schuf. Im Jahre 1798 gab L.H. Tobiesen an, die Glasröhre der Wasserwaage solle nicht gerade, sondern „etwas gebogen seyn“1, damit die Blase besser den höchsten Punkt in der Mitte finde. Die zweidimensionale Ausrichtung von Objekten mithilfe der ersten Wasserwaagen (Messtechnik: Röhrenlibelle) gestaltete sich zunächst schwierig. Ein besseres Instrument hierfür wurde im Jahre 1777 durch Tobias Mayer erfunden. Er konstruierte ein dosenförmiges Instrument, bei dem sich die Luftblase einer Glasdecke in alle Richtungen bewegen kann – die heutige Dosenlibelle.

Der Wasserspiegel hat wahrscheinlich schon den Ägyptern als Richtmaß gedient, die wohl zum Nivellieren eine offene Wasserschale benutzt haben. Ähnliche Prinzipien finden sich schon in der Antike. Hier wurde zum Ausrichten ein gleichschenkliges Dreieck verwendet, in das ein Lot aufgehängt wurde. Dieses zeigte auf die Mitte der Grundseite des Dreiecks, wenn die Grundseite in Waage gebracht wurde.

Messtechnik: Libelle

In der analogen Messtechnik wird als Libelle eine mit einer Flüssigkeit und einer Luft- bzw. Gasblase gefüllte, schwach gebogene Kunststoff- oder Glasröhre bezeichnet, die zur vertikalen bzw. horizontalen Ausrichtung von Objekten oder Instrumentenachsen genutzt wird. Die häufigste Anwendung der Libelle ist die Wasserwaage. Die Blase in der Röhre entsteht bei der Herstellung. Ethanol oder Diethylether wird heiß bis zum Rand in den Hohlraum der Glasröhre eingegeben. Diese Röhre wird dann direkt zugeschmolzen. Beim Abkühlen entsteht durch das Zusammenziehen der Füllung eine Blase aus dem Gas der Füllung.

Funktionsprinzip

Der Hohlraum, in dem sich die Flüssigkeit und die Blase befindet, ist auf der Oberseite leicht gewölbt (mit einem definierten Radius). Daher schwimmt die Gasblase durch ihren Auftrieb immer an der höchsten Stelle auf. Die Flüssigkeit einer qualitativ hochwertigen Libelle sollte eine hohe Beständigkeit gegen UV-Strahlung aufweisen, damit die Ablesbarkeit der Blase erleichtert wird. In dem transparenten Körper befinden sich meistens zwei Markierungen, je links und rechts im gleichen Abstand zur Mittellage. Liegt die Gasblase genau zwischen den beiden Markierungen (siehe Abb. 2) und ist die Libelle richtig angebracht, befindet sich das Objekt in der horizontalen bzw. vertikalen Lage. Den Punkt, an dem die Blase dann steht, nennt man Normalpunkt. Der Spielpunkt einer Libelle in Verbindung mit einer Achse ist der Punkt der Libelle, an dem die Blase steht, wenn die Achse senkrecht steht bzw. waagerecht liegt. Ist die Libelle richtig justiert, sind Normalpunkt und Spielpunkt identisch.

  • Abb. 2 – Die Horizontal-Libelle der Wasserwaage. Die Gasblase liegt genau zwischen den zwei Markierungen, demnach ist das Objekt richtig horizontal ausgerichtet.
  • Abb. 3 – Die Vertikal-Libelle der Wasserwaage. Diese kommt zum Einsatz, wenn man die Wasserwaage um 90° dreht und Gegenstände vertikal ausrichten möchte


Die Gasblase bewegt sich der Schwerkraft folgend, also in Abhängigkeit von der Libellenneigung am Schliffbogen des Glaskörpers entlang. Je größer der Radius des Schliffbogens, desto weiter entfernt sich die Blase bei Neigung der Libelle von ihrer Ausgangsstellung (Normalpunkt). Den Winkel, um den eine Libelle in Richtung ihrer Längsachse geneigt werden muss, damit die Blase sich um ein Pars (2mm) verschiebt, wird Libellenangabe genannt.

Abb. 4 – Schema zum Funktionsprinzip der Libelle
Bauformen

Man unterscheidet zwischen Röhrenlibellen, die zur Ausrichtung in einer Dimension genutzt werden und Dosenlibellen, die der Ausrichtung in zwei Dimensionen dienen.

Röhrenlibellen in relativ geringer Qualität werden für den Bau von Wasserwaagen verwendet, da ihre Messgenauigkeiten für (private) Anwendungen ausreichen. Je größer der Radius des Kreisbogens, desto genauer ist die Röhrenlibelle.

Dosenlibellen werden zur Ausrichtung in zwei Dimensionen benutzt (Neigung von Ebenen) und bestehen aus einem Glasgefäß, das nach oben kugelförmig rund ausgeschliffen ist und oben sichtbar ein oder zwei Markierungskreise hat.

Messgenauigkeit

Die Messgenauigkeit einer Wasserwaage bedingt sich durch die Qualität ihrer Bauteile und deren Zusammenspiel. Sie ist auf der Wasserwaage meist in mm/m, aber auch in Winkelgrad angegeben. Diese Angabe bezeichnet den maximalen Messfehler für das Messen über eine Distanz mit der Länge der jeweiligen Wasserwaage; er bezieht sich nicht auf Messungen mit einer beliebigen Distanz. Übliche Wasserwaagen liefern Messgenauigkeiten im Bereich einiger Bogensekunden, meist etwa ±0,1 Grad (dies entspricht 1-2 mm/m). Die Empfindlichkeit von Libellen, die man als Libellenangabe bezeichnet, wird als Parswert angegeben. Das ist jener Winkel, um den die Libelle geneigt werden muss, damit sich die Blase um 2 mm verschiebt. Die Empfindlichkeit hat direkten Einfluss auf die Messgenauigkeit. Röhrenlibellen sind bis zu 10 mal empfindlicher als Dosenlibellen.

Um zu Überprüfen, ob eine Wasserwaage korrekt funktioniert, setzt man diese im Normalzustand und um 180° gedreht auf dieselbe Fläche auf. Zeigt die Libelle bei beiden Messungen dieselbe Neigung, ist die Wasserwaage genau.

Ebenfalls zu beachten sind die Fehlereinflüsse auf Libellen. Mit zunehmender Temperatur wird die Libellenblase kürzer, in stärkerem Maße bei feineren Libellen als bei gröberen. Da die Einstellungsgenauigkeit bei einer Blasenlänge von 45 mm ein Optimum ist, kann der Fall eintreten, dass die Zuverlässigkeit der Libelle durch starke thermische Verkürzung der Blase leidet. Wichtig ist auch ein gleichmäßiger Wärmezustand des Rohres. Durch einseitige Bestrahlung oder Berührung ändert sich das innere Gleichgewicht und die Adhäsion der Füllung, so dass die Blase der wärmeren Seite zustrebt.

Medienarchäologische Relevanz

Nachdem der technische Aspekt der Wasserwaage ausgiebig erläutert wurde, wollen wir nun auf die Ausgangsfrage zurückkommen: Warum befindet sich die Wasserwaage überhaupt im Medienarchäologischen Fundus?

Die Wasserwaage steht in der langen Tradition analoger Messinstrumente. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie, im Gegensatz zu digitalen Messgeräten, nicht mit Zahlen, sondern mittels physikalischer Größen messen und rechnen. Je nach Bauart können diese Instrumente mit Wegen, Winkeln, Kräften, elektrischen Strömen oder Spannungen rechnen. Der klassische Analogrechner, der hauptsächlich zum Lösen von Differentialgleichungssystemen genutzt wird, ist ein medienwissenschaftlich relevantes analoges Messgerät. Er basiert auf Modellen und nicht auf klassischen Algorithmen. Seine hohe Anschaulichkeit zeigt sich beim Lösen von Differentialgleichungen: Wenn man einen Parameter am Analogrechner verändert, dann kann man die direkte Auswirkung auf das Oszilloskop sehen, sprich wie die neue Lösungsfunktion dann aussieht. Ein Analogrechner kann also gerade solche Operationen mit Leichtigkeit machen, die digitalen Schwierigkeiten bereiten (so z.B. die Berechnung von Integralen). Dabei „rechnet“ der Analogrechner ja eigentlich gar nicht, sondern „spielt“ das Untersuchungsobjekt in einem physikalischen Modell nach. Analoge Rechner sind unangreifbarer und robuster als digitale Rechner, da sie keine Software oder Flash-Speicher haben.

Und was hat so ein komplexer Analogrechner mit unserer hiesigen Wasserwaage zu tun? Ganz einfach, es gibt auch Geräte, die nicht explizit den Namen „Analogrechner“ führen, in Ihrer Arbeitsweise jedoch echte Analogrechner sind. So „berechnet“ ein einfacher Heizungsregler aus einem analogen Messsignal (Temperaturänderungen werden als Druckänderungen abgebildet) und einem Sollwert (der als analoger Wert mittels einer Stellschraube vorgegeben wurde) eine Stellgröße (z.B. die Winkelstellung einer Drosselklappe zur Zufuhr von Verbrennungsluft) und kann so die Heizungstemperatur völlig ohne Zufuhr von Hilfsenergie konstant halten. Diese Arbeitsweise lässt sich in noch einfacherer Form auf die Wasserwaage anwenden. Diese kann die eindimensionale Ausrichtung eines Objektes anzeigen („berechnen“), in dem ihre Libellenblase immer in direkter paralleler Abhängigkeit zu den Messflächen steht und diese wiederum beliebig an Objekten angelegt werden können. Konnte man beim klassischen Analogrechner die Veränderung der Parameter direkt am Oszilloskop sehen, sieht man mithilfe der Wasserwaage die direkte Auswirkung der Ausrichtung des Objektes anhand der Lage der Libellenblase. Hierbei braucht die Wasserwaage keine Energiezufuhr und ist ebenfalls ein robustes Messinstrument. Genau wie ein Analogrechner repräsentiert eine Wasserwaage ihre Daten nicht als diskrete Werte, sondern als kontinuierliche Größen, hier in Form von Winkeln. Bei Analogrechnern wird das Analogieprinzip ausgenutzt, welches besagt, dass es in einem bestimmten Bereich einen Zusammenhang zwischen Original- und Modellverhalten gibt. So simuliert ein Analogrechner mit dem Modell das Verhalten des Originals. So zeigt die richtige Ausrichtung der Libelle, die gewünschte Ausrichtung des Objektes. Analogrechner sind keine „General Purpose Maschinen“, sondern Spezialrechner und somit für eine bestimmte Funktion besonders gut ausgelegt (das Lösen von Differentialgleichungssystemen), was ebenfalls auf die einfachen analogen Messinstrumente zutrifft. So ist auch unsere Wasserwaage für das Lösen genau eines Problemes ausgelegt – der Ausrichtung von Objekten.

In unserem Fundus befindet sich also eine Wasserwaage, da diese in der langen Tradition analoger Messgeräte steht und (auf einfacher Ebene) Gemeinsamkeiten mit der Funktionsweise eines mechanischen Analogrechners aufweist. Wer hätte das gedacht?

Quellen

Literatur

Bornet, Ch.: 300 Jahre Wasserwaage. Schweizerische Bauzeitung, 1961, Vol.79(21), S.358

Nutsch, Wolfgang et al.: Fachkunde für Schreiner (12. Auflage), Verlag Europa Lehrmittel, Wuppertal 1980, S.232

Wolf, R. (Hrsg.): Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Band 16, Zürcher und Furrer, Zürich 1871, S.49–51

A. Berroth et al.: Handbuch der Physik Band II: Elementare Einheiten und Ihre Messung., Verlag Julius Springer, Berlin 1926, S.108-111

Mosching, G. Bausanierung: Grundlagen - Planung – Durchführung (4. Auflage) Verlag Springer Vieweg, Wiesbaden 2014, S.17

Ulmann, B. Analog computing, Oldenbourg, München 2013, S. 1-53

Internetquellen

Gutseel, H. MessFreunde.Wiki - „Wasserwaage“. <http://messfreunde.de/messfreunde-wiki-wasserwaage> 28.09.2016

Kurth, Rüdiger. robotron technik.de - „Analogrechner“. <http://www.robotrontechnik.de/index.htm?/html/computer/analogrechner.htm> 28.09.2016

Abbildungen

Abb. 1 – 3 eigene Aufnahmen der Wasserwaage aus dem Fundus

Abb. 4 eigenes Schema (erstellt mit Photoscape)