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Aus Medienarchäologischer Fundus

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EPISTEMISCHES (SPIEL)ZEUG: MEDIENARCHÄOLOGISCHER FUNDUS


Graetz: VE 301, Rückansicht


Der Begriff Fundus und seine technologischen Artefakte

Das Fachgebiet der Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin verfügt in seiner Infrastruktur neben einem Medientheater auf medienarchäologischer Ebene (buchstäblich: im Keller) über ein mit der Szene gekoppeltes Signallabor (Computer- und Serverpool, elektrotechnische Werkband) und darüber hinaus über einen Fundus an medienarchäologischen Artefakten sowohl technischer als auch logischer Art. Medienepistemische Dinge: "Es gibt Wesenheiten, deren Natur sogar den Menschen an göttlichem Rang weit übertrifft" (Aristoteles unter Bezug auf die planetarischen Gestirne). Daneben sind nun technologische Artefakte getreten: Emanationen der Kultur, die Kulturtechnik selbst überschreiten, bis hin zur "transklassischen Maschine" (Gotthard Günther 1963, Martin Carlé 2006) - dem für medienarchäologische und -theoretische Analysen modellgebenden Medium Computer.

Der Begriff Fundus (in Anlehnung an den vormaligen Theaterfundus am gleichen Ort) ist sorgsam gewählt. Denn es handelt sich nicht um eine Sammlung historischer Medien, wie sie durch private Sammler in ihrer respektlosen Ideosynkrasie unnachahmlich angelegt werden. Der Fundus ist auch keine Sammlung im Sinne technikhistorischer Museen, deren Verdienst es ist, einzigartige medienmaterielle Überlieferung zu lagern und auszustellen, deren Handicap aber das technische oder kuratorisch-restauratorische Verbot ist, diese Stücke in Funktion zu zeigen. Ein technologisches Medium (Telegraph, Radio, Fernsehen, Computer zumal) aber, das nicht operativ unter Strom ist, zeigt sich nicht in seinem Wesen als Medium, sondern schlicht als Designobjekt - die Anmutung des Historischen ist dann auf das Gehäuse verschoben.

Demgegenüber zeigt der Medienarchäologische Fundus vor allem das Chassis der dortigen Gerätschaften, entkleidet von allem historistischen Charme. So werden die Apparaturen in ihrer Funktion ablesbar, und die Kunst der medienarchäologischen Ekphrasis liegt (in Anlehnung an die Beschreibungskunst der Klassischen Archäologie) in der Fähigkeit, solche Artefakte einerseits technologisch, andererseits aber in ihrem epistemologischen Spezial- oder Mehrwert deuten zu können. Damit ist eine weitere Differenz zum Begriff der Sammlung genannt: Der hiesige Fundus versammelt allein Artefakte, welche von ausweisbarem medienepistemologischen Wert sind - von der Leuchtstoffvakuumelektronenröhre ("magisches Auge") bis zum Temperatursensor als Peripheriegerät zum frühen Commodore 64-Computer (dem Computer der Gründerzeit von hochtechnischer Medienaneignung auf dem heimischen Schreibtisch).

An medienarchäologischen Artefakten gilt es in besonderem Maße Charakteristiken zur Sprache zu bringen, die an sich oft nicht sprachlicher Natur sind oder insgeheim etwas anderes sagen, als sie menschenseitig zu sagen scheinen. Für technologische Medien gilt, daß sie auch in ihrer Materialität ernstgenommen werden und nicht nur als Mediengeschichte primär im Text stattfinden wollen. In Anlehnung an die Einleitung von Michel Foucaults Archäologie des Wissens ruft praktizierte Medienarchäologie dazu auf, an ihren scheinbar homogenen Objekten eine Masse von Elementen zu entfalten, die es zu isolieren, zu gruppieren, passend werden zu lassen, in Beziehung zu setzen und als Gesamtheiten zu konstituieren gilt - das Erbe der Methoden der neuzeitlichen Physik. Verallgemeinerungen werden durch Parameter ermöglicht, die bestimmte, im Experiment isolierte Eigenschaften repräsentieren (Axel Volmar). Foucault erinnert an die Zeit, in der die Archäologie als Disziplin der stummen Monumente, der bewegungslosen Spuren, der kontextlosen Gegenstände und der von der Vergangenheit hinterlassenen Dinge nur durch die Wiederherstellung eines historischen Diskurses zur Geschichte tendierte und Sinn erhielt; demgegenüber sucht Foucault zu sagen, "daß die Geschichte heutzutage zur Archäologie tendiert - zur immanenten Beschreibung des Monuments" (1969/1973).

Es geht dabei für eine epistemologische orientierte Medienwissenschaft, die weder ein Ingenieurs- noch ein Informatikstudium ist, nicht darum, an technologischen Medien alles zu kennen - die ganze Technik, die ganze Mathematik. Sondern epistemogene Mediendinge meint die Reihe technischer Schlüsselelemente - etwa für die Nachrichtentechnik und Elektromechanik die Röhrentechnik, Speichertechnik, Tranistortechnik und Schaltkreistechnik.

Von daher leitet sich auch die Wortwahl "Medienepistemisches (Spiel)Zeug" ab: Neben gravitätischen Artefakten aus der Vergangenheit technologischer Medien sind hier auch didaktische bzw. didaktisierbare Objekte versammelt, vom historischen Kosmos-Experimentierkasten bis zum Spielcomputer Logikus, der die Verdrahtung der Boole´schen Logik mit Glühlämpchen nachvollziehbar macht. Medien(er)kenntnis (also mediale Epistemologie) wird hier spielerisch vollziehbar, als materielles Experiment. Die Exaktheit der Beschreibungen von Instrument und Experiment ist nicht Selbstzweck, sondern unabdingbare Voraussetzung dessen, was Wissenschaftstheoretiker wie John A. Schuster und Graeme Watchirs inzwischen hardware-discourse couple nennen - der Moment, wo rein symbolische (mathematische u. a.) Operationen in Welt implementiert, also technische Medien werden.

Gewiß, mit einer harten Definition von Technologie, die sich auf Meßgeräte, Instrumente, generell Vorrichtungen zum Experimentieren bezieht, ist noch nicht alles gewonnen; erst in Verbindung mit einer Medientheorie schlägt ein solch medienarchäologischer Blich, schlägt eine solche Analyse epistemische Funken (Hans-Jörg Rheinberger, in Anlehnung an Bachelard und Canghuilhem).

Am Ende das mediale "Zeug": mit Respekt vor dem, der auf Holzwegen wandelnd die Technik, Ding und Zeug durchdachte. Für Martin Heidegger ist Ekphrasis ein "theoretisches Betrachten" der alltäglichen Welt aus dem verweilenden Umgang im Unterschied zu ihrer Fehldeskription. "Das ist der Tisch, so ist er da in der Zeitlichkeit der Alltäglichkeit", schreibt Heidegger in seiner Hermeneutik der Faktizität, doch im Unterschied zum da-seienden (platonischen) Tisch etwa gehört es zum We(i)sen medientechnischer Artefakte, daß die Zeitlichkeit in sie selbst gewandert ist, ihre Dinghaftigkeit im operativen Zeitprozeß selbst liegt. Medien- als Seinsgeschichte wird hier zu einer von Medien selbst erzeugten anderen Zeitlichkeit.

Neben Stücken, die Einblick in den "submedialen Raum" (Boris Groys), also das Innenleben von Massenmedien geben, verlangt Meßgerät nach Aufmerksamkeit - also Medien, die selbst Medienanalyse leisten. Um im spielerischen Ton zu bleiben: nicht nur ausgewählte Massenmedien (wie der erste in der DDR produzierte Ferseher Rembrandt, um die Luminiszenz, die Erscheinungsweise eines historischen s/w-Kathodenstrahlbilds nachvollziehen zu können, wie es kein Textbuch als Eindruck zu vermitteln vermag), sondern auch Massemedien - denn die Erdung an Masse manifestiert den ganzen Unterschied zwischen klassischen Kulturtechniken und medialen Technologien.

Das Reizvolle an technologischen Medien ist ganz sicher, daß sie - neben allen diskursiven Textwolken - immer auch "geerdet" sind, insofern sie als wirkliche Dinge, wirkliche Aussagen (im Sinne Michel Foucaults) ein fundamentum in re haben. Der Medienarchäologische Fundus bilden einen physikalischen Ort von Medien: "Die Medienwissenschaft der Humboldt-Universität in der Sophienstraße betreibt eine Medienwissenschaft eng an der Realität des Mediums. Die Studenten müssen die Dinglichkeit der Untersuchungsgegenstände als Voraussetzung ihrer Existenz erkennen" (Sebastian Döring).

Der aktuelle Bestand des Medienarchäologischen Fundus ist ein Anfang nur und baut darauf, leih- oder schenkungsweise supplementiert zu werden. Einlaßkriterium für teilnehmende Betrachter ist die medienarchäologische Neugier; Zugangskriterium für neue Objekte ist ihre medienepistemische Begründung.

Sebastian Döring