Nahy (Untersagung, Verbieten): Unterschied zwischen den Versionen

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In verschiedenen Versen verwendet der Koran den Begriff nahy und seine Ableitungen, wie yanhā, tanhā, yanhūna, die oft mit Verbot, verboten oder Verhinderung übersetzt werden.<ref>Siehe beispielsweise Q. 3:104, 110, 114; 6:56; 16:90; 29:45; 40:66; 79:40; 96:9. Siehe die englische Übersetzung der relevanten Verse in Qarib, Sarwar, Shakir, Pickthall, and Yusufali: http://www.parsquran.com/data/showall.php?sura=1&ayat=1&user=far&lang=eng.</ref> Auch in der prophetischen Sunnah-Literatur werden der Begriff nahy sowie verschiedene prohibitive Formen von Verben häufig verwendet. Muslimische Gelehrte verstehen sie meist so, dass sie sich entweder auf verbotene (haram) Handlungen oder auf entmutigte/abgelehnte (makrūh) Verhaltensweisen beziehen.<ref>Siehe Bābakr, Aḥmad Ibrāhīm and Ḥamad, Muḥammad ʿAlī. “Uslūb al-Nahy wa Dilālatuhu fi al-Ḥadīṯ al-Šarīf”. Maǧalla al-ʿUlūm wa al-Buḥūṯ al-Islāmiyya. 20(1), 2019, pp. 49-50.</ref>   
In verschiedenen Versen verwendet der Koran den Begriff nahy und seine Ableitungen, wie yanhā, tanhā, yanhūna, die oft mit Verbot, verboten oder Verhinderung übersetzt werden.<ref>Siehe beispielsweise Q. 3:104, 110, 114; 6:56; 16:90; 29:45; 40:66; 79:40; 96:9. Siehe die englische Übersetzung der relevanten Verse in Qarib, Sarwar, Shakir, Pickthall, and Yusufali: http://www.parsquran.com/data/showall.php?sura=1&ayat=1&user=far&lang=eng.</ref> Auch in der prophetischen Sunnah-Literatur werden der Begriff nahy sowie verschiedene prohibitive Formen von Verben häufig verwendet. Muslimische Gelehrte verstehen sie meist so, dass sie sich entweder auf verbotene (haram) Handlungen oder auf entmutigte/abgelehnte (makrūh) Verhaltensweisen beziehen.<ref>Siehe Bābakr, Aḥmad Ibrāhīm and Ḥamad, Muḥammad ʿAlī. “Uslūb al-Nahy wa Dilālatuhu fi al-Ḥadīṯ al-Šarīf”. Maǧalla al-ʿUlūm wa al-Buḥūṯ al-Islāmiyya. 20(1), 2019, pp. 49-50.</ref>   


== Islamisches Recht ==
== Nahy im islamischen Recht (fiqh) ==
Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. as-Samʿānī (gest. 1095) setzt sich in seinem Werk ''Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl'' ausführlich mit dem Begriff des ''nahy'' auseinander. Er definiert ''nahy'' – die Untersagung – als das Verlangen (''istidʿāʾ'', pl. ''istidʿāʾāt'') der Unterlassung (''tark'', pl. ''tarkūn'') der Handlung (''fiʿl'', pl. ''afʿāl'', ''fiʿāl''), und zwar durch die Äußerung an denjenigen, der hierarchisch unter demjenigen stehe, der das Unterlassen der Handlung verlange. <ref>Siehe as-Samʿānī, Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. ''Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl'', Hg. Dr. Nāǧī as-Sawīd. Libanon: Al-Maktaba al-ʿAṣrīya, 2011, S. 100: ''Ḥaqīqati n-nahy fa-huwa stidʿāu l-fiʿli bi-l-qawli miman huwa dūnahu''.</ref>Dies geschehe durch einen verneinten Imperativ, so as-Samʿānī.<ref>Siehe as-Samʿānī, ''Qawāṭiʿ'', S. 100: ''Huwa qawlu l-qāʾili li-ġayrihi: lā tafʿal''.</ref>
Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. as-Samʿānī (gest. 1095) setzt sich in seinem Werk ''Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl'' ausführlich mit dem Begriff des ''nahy'' auseinander. Er definiert ''nahy'' – die Untersagung – als das Verlangen (''istidʿāʾ'', pl. ''istidʿāʾāt'') der Unterlassung (''tark'', pl. ''tarkūn'') der Handlung (''fiʿl'', pl. ''afʿāl'', ''fiʿāl''), und zwar durch die Äußerung an denjenigen, der hierarchisch unter demjenigen stehe, der das Unterlassen der Handlung verlange. <ref>Siehe as-Samʿānī, Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. ''Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl'', Hg. Dr. Nāǧī as-Sawīd. Libanon: Al-Maktaba al-ʿAṣrīya, 2011, S. 100: ''Ḥaqīqati n-nahy fa-huwa stidʿāu l-fiʿli bi-l-qawli miman huwa dūnahu''.</ref>Dies geschehe durch einen verneinten Imperativ, so as-Samʿānī.<ref>Siehe as-Samʿānī, ''Qawāṭiʿ'', S. 100: ''Huwa qawlu l-qāʾili li-ġayrihi: lā tafʿal''.</ref>



Version vom 1. Dezember 2021, 16:25 Uhr

Der Begriff nahy wird mit "Untersagung" oder "Verbieten"[1] übersetzt. Im Bereich des islamischen Rechts stellt der Begriff nahy einen Gegensatz zu dem Begriff amr dar, der unter anderem als "Imperativ" oder "Befehl" übersetzt wird.[2]

Nahy im Koran und Ḥadīṯ

In verschiedenen Versen verwendet der Koran den Begriff nahy und seine Ableitungen, wie yanhā, tanhā, yanhūna, die oft mit Verbot, verboten oder Verhinderung übersetzt werden.[3] Auch in der prophetischen Sunnah-Literatur werden der Begriff nahy sowie verschiedene prohibitive Formen von Verben häufig verwendet. Muslimische Gelehrte verstehen sie meist so, dass sie sich entweder auf verbotene (haram) Handlungen oder auf entmutigte/abgelehnte (makrūh) Verhaltensweisen beziehen.[4]

Nahy im islamischen Recht (fiqh)

Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. as-Samʿānī (gest. 1095) setzt sich in seinem Werk Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl ausführlich mit dem Begriff des nahy auseinander. Er definiert nahy – die Untersagung – als das Verlangen (istidʿāʾ, pl. istidʿāʾāt) der Unterlassung (tark, pl. tarkūn) der Handlung (fiʿl, pl. afʿāl, fiʿāl), und zwar durch die Äußerung an denjenigen, der hierarchisch unter demjenigen stehe, der das Unterlassen der Handlung verlange. [5]Dies geschehe durch einen verneinten Imperativ, so as-Samʿānī.[6]

As-Samʿānī ist der Meinung, dass alleine die Formulierung (ṣīġa, pl. ṣiyaġ) der Untersagung für das Verbot (taḥrīm) notwendig sei.[7] So bedeute also alleine die Formulierung einer Untersagung ein Verbot. Die Ansicht as-Samʿānīs steht im Gegensatz zur muʿtazilitischen Vorstellung, bei der ein Beweis bzw. ein Hinweis (dalīl, pl. adilla, dalāʾil) für die Forderung eines Verbots benötigt wird und bei der der Beweis bzw. der Hinweis für ein Verbot entscheidend ist.[8]

As-Samʿānī schreibt, die Äußerung einer Person mit den Worten "Mach das nicht!" an eine andere Person verlange ganz gewiss die Forderung (ṭalab, pl. ṭalabāt) der Unterlassung (tark) der Handlung (fiʿl, pl. afʿāl, fiʿāl), ebenso wie die Äußerung einer Person mit den Worten "Mach das!" ganz gewiss die Forderung der Handlung verlange.[9] As-Samʿānī zufolge ist die Forderung der Handlung eine Verpflichtung (īǧāb), wie er bereits in seiner Diskussion zu dem Begriff des Imperativs (amr) darstellte. Und so verlange die Forderung der Unterlassung der Handlung das Verbot.[10]

In einer rationalen Argumentation weist as-Samʿānī auf das Verhältnis von einem Sklaven zu seinem Herrn hin. Wenn ein Herr seinem Sklaven befehle, etwas nicht zu tun, der Sklave diese Handlung aber dennoch ausführe, so verdiene der Sklave Missbilligung (ḏamm) und Tadel (tawbīḫ). Hätte der Herr jedoch kein Verbot gefordert, verdiene der Sklave für seine Handlung keinen Tadel und keine Missbilligung.[11]

Anzumerken ist, dass as-Samʿānī in dem Textabschnitt, in dem er den Begriff nahy diskutiert, keine koranischen Beispiele anführt, ganz im Gegensatz dazu, wie er dies in seiner Diskussion zu dem Begriff amr tat.

Der Begriff nahy wird in schiitischen Quellen ähnlich wie in sunnitischen Quellen definiert. Es gibt Textstellen aus dem Koran und der Sunna, die durch Verbotsformen des Verbs "zu verbieten" ausgedrückt werden. Die Hauptdiskussion ist hier, ob Verbotsformen ein Verbot oder nur Abneigung implizieren.[12] In der schiitischen Rechtstheorie gibt es zu dieser Frage zwei verschiedene Ansätze. Erstens gibt es diejenigen Wissenschaftler[13], die behaupten, dass die wörtliche oder tatsächliche (ḥaqīqī) Bedeutung der Verbotsform weder Verbot noch Abneigung ist, sondern die bloße Vermeidung der Begehung einer bestimmten Handlung oder eines bestimmten Verhaltens. Somit sind sowohl Verbot als auch Abneigung die bildlichen Implikationen der Verbotsformen. Die zweite Sichtweise ist der Standardansatz der zeitgenössischen schiitischen Rechtstheorie[14], nach der die Verbotsform wörtlich Verbotenheit bedeutet und somit Abneigung ein bildlicher Begriff ist. Daher erfordert Abneigung weitere Beweise, um zu beweisen, dass dies die Bedeutung eines bestimmten Falles einer Verbotsform ist.

Autor*innen und Quellenangaben

Dieser Artikel wurde verfasst von: Selma Schwarz und Mehrdad Alipour

  1. In diesem Artikel wird für den Begriff nahy "Untersagung" als Übersetzung genutzt.
  2. Interessant hierbei ist der Begriff an-nahy wa-l-amri – die "unumschränkte Gewalt", die "Befehlsgewalt".
  3. Siehe beispielsweise Q. 3:104, 110, 114; 6:56; 16:90; 29:45; 40:66; 79:40; 96:9. Siehe die englische Übersetzung der relevanten Verse in Qarib, Sarwar, Shakir, Pickthall, and Yusufali: http://www.parsquran.com/data/showall.php?sura=1&ayat=1&user=far&lang=eng.
  4. Siehe Bābakr, Aḥmad Ibrāhīm and Ḥamad, Muḥammad ʿAlī. “Uslūb al-Nahy wa Dilālatuhu fi al-Ḥadīṯ al-Šarīf”. Maǧalla al-ʿUlūm wa al-Buḥūṯ al-Islāmiyya. 20(1), 2019, pp. 49-50.
  5. Siehe as-Samʿānī, Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl, Hg. Dr. Nāǧī as-Sawīd. Libanon: Al-Maktaba al-ʿAṣrīya, 2011, S. 100: Ḥaqīqati n-nahy fa-huwa stidʿāu l-fiʿli bi-l-qawli miman huwa dūnahu.
  6. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Huwa qawlu l-qāʾili li-ġayrihi: lā tafʿal.
  7. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Wa-ṣīġatu n-nahy muqtaḍīyatu li-l-taḥrīmi.
  8. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100.
  9. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Lā tafʿal yaqtaḍī ṭalaba tarki l-fiʿli lā maḥālata [...] ifʿal yaqtaḍī ṭalaba l-fiʿli lā maḥālata.
  10. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Fa-ṭalabu tarki l-fiʿli lā maḥālata yaqtaḍī taḥrīma.
  11. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100.
  12. Al-H̱urāsānī, Muḥammad Kāẓim. Kifāyat al-Uṣūl. Qum, Iran: Mu’assasa Āl al-Bayt li Iḥyā al-Turāṯ, 1988-9/1409H, S. 149.
  13. Al-Ṭūsī, Muḥammad b. Ḥasan. Al-ʿUdda fī Uṣūl al-fiqh, Hg. Muḥammad Riḍā Anṣārī, Qum, Iran: Intishārāt-i Sitārih, 1997-8/1376H, Band 1, S. 256.
  14. Al-Muẓaffar, Muḥammad Riḍā. Usūl al-Fiqh. Qum, Iran: Maktabat al-Aʿlām al-Islāmi, 1373Sh, Band 1, S. 149.