Iǧtihād (Selbstanstrengung, Streben): Unterschied zwischen den Versionen

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III. Schließlich betrachtet die dritte Bedeutung von Iǧtihād, die viel später (um das 18. Jahrhundert) diskutiert wurde, Iǧtihād als eine Methode, mit der muslimische Juristen islamische Gesetze definitiv erreichen oder zu Recht ableiten können (taḥṣīl oder istiḫrāǧ al-ḥuǧǧaʿalā) von zuverlässigen Quellen, d.h. der Koran, Sunna, Iǧmāʿ (Konsens) und ʿaql (rationales Denken).
III. Schließlich betrachtet die dritte Bedeutung von Iǧtihād, die viel später (um das 18. Jahrhundert) diskutiert wurde, Iǧtihād als eine Methode, mit der muslimische Juristen islamische Gesetze definitiv erreichen oder zu Recht ableiten können (taḥṣīl oder istiḫrāǧ al-ḥuǧǧaʿalā) von zuverlässigen Quellen, d.h. der Koran, Sunna, Iǧmāʿ (Konsens) und ʿaql (rationales Denken).


Šīʿī-Gelehrte (al-Šarīf al-Murtaḍā, 1376H, 2: 792; al-Ṭūsī, 1376H, 2: 723–26) widerlegen die erste Analyse des Iǧtihād, da es ihrer Meinung nach mehrere unbestrittene Sunna von den Zwölf Imāms gibt, die die Beweiskraft (ḥuǧǧiyya) von Iǧtihād als persönliche Meinung oder Qiyās leugnen. Im Gegensatz dazu glauben sunnitische Gelehrte (al-Ǧaṣṣāṣ, 1414H / 1994, 4: 23, 273; Ibn Qudāmih al-Maqdasī, 1423H / 2002, 2: 333–34, 338–41) fest an dieses Konzept des Iǧtihād und verlassen sich darauf um islamische Rechtsprechung zu verschiedenen Themen zu verstehen oder abzuleiten. Mehrere sunnitische und Šīʿī-Gelehrte (al-Āmidī, 1424H, 4: 162; al-ʿAllāma al-Ḥillī, 1421H, S. 283) akzeptieren jedoch den zweiten Begriff von Iǧtihād. Schließlich hat die große Mehrheit der Šīʿī-Gelehrten (al-Ḫurāsānī, 1409H, S. 463–-64) Iǧtihād nach der dritten Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert konzeptualisiert.
Schiitische Gelehrte (al-Šarīf al-Murtaḍā, 1376H, 2: 792; al-Ṭūsī, 1376H, 2: 723–26) widerlegen die erste Analyse des Iǧtihād, da es ihrer Meinung nach mehrere unbestrittene Sunna von den Zwölf Imāms gibt, die die Beweiskraft (ḥuǧǧiyya) von Iǧtihād als persönliche Meinung oder Qiyās leugnen. Im Gegensatz dazu glauben sunnitische Gelehrte (al-Ǧaṣṣāṣ, 1414H / 1994, 4: 23, 273; Ibn Qudāmih al-Maqdasī, 1423H / 2002, 2: 333–34, 338–41) fest an dieses Konzept des Iǧtihād und verlassen sich darauf um islamische Rechtsprechung zu verschiedenen Themen zu verstehen oder abzuleiten. Mehrere sunnitische und schiitische Gelehrte (al-Āmidī, 1424H, 4: 162; al-ʿAllāma al-Ḥillī, 1421H, S. 283) akzeptieren jedoch den zweiten Begriff von Iǧtihād. Schließlich hat die große Mehrheit der schiitischen Gelehrten (al-Ḫurāsānī, 1409H, S. 463–-64) Iǧtihād nach der dritten Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert konzeptualisiert.


Der Unterschied zwischen diesen drei Konzepten von Iǧtihād ist, kurzgefasst, wie folgt: Nach dem ersten Konzept wird Iǧtihād unter anderem als Quelle für Rechtsprechung angesehen, nicht als Instrument oder Methode, um Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen abzuleiten. Tatsächlich ist dieses Konzept von Iǧtihād, das auf den persönlichen Meinungen der Juristen basiert, wirksam, wenn ein Fall nicht von anderen Quellen wie dem Qur’ān oder der Sunna abgedeckt wird. Nach dem zweiten und dritten Konzept des Iǧtihād ist es eine Methode oder ein Werkzeug, um islamische Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen zu extrahieren. Allerdings basiert der zweite Begriff des Iǧtihād auf einer bloßen unsicheren Meinung, was bedeutet, dass Iǧtihād ein Werkzeug ist, um unsichere Rechtsprechungen zu entdecken, die dann Beweiskraft haben würden, auf die gehandelt werden könnte. Die dritte Bedeutung des Iǧtihād hält diese Entdeckungsebene jedoch nicht für ausreichend und erfordert eine höhere Ebene, nämlich Sicherheit.
Der Unterschied zwischen diesen drei Konzepten von Iǧtihād ist, kurzgefasst, wie folgt: Nach dem ersten Konzept wird Iǧtihād unter anderem als Quelle für Rechtsprechung angesehen, nicht als Instrument oder Methode, um Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen abzuleiten. Tatsächlich ist dieses Konzept von Iǧtihād, das auf den persönlichen Meinungen der Juristen basiert, wirksam, wenn ein Fall nicht von anderen Quellen wie dem Qur’ān oder der Sunna abgedeckt wird. Nach dem zweiten und dritten Konzept des Iǧtihād ist es eine Methode oder ein Werkzeug, um islamische Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen zu extrahieren. Allerdings basiert der zweite Begriff des Iǧtihād auf einer bloßen unsicheren Meinung, was bedeutet, dass Iǧtihād ein Werkzeug ist, um unsichere Rechtsprechungen zu entdecken, die dann Beweiskraft haben würden, auf die gehandelt werden könnte. Die dritte Bedeutung des Iǧtihād hält diese Entdeckungsebene jedoch nicht für ausreichend und erfordert eine höhere Ebene, nämlich Sicherheit.


Der Unterschied zwischen der zweiten und dritten Bedeutung des Iǧtihād ist in der Geschichte des Šīʿī-Islam von Bedeutung (Calder, 1989), da frühe Imāmī-Gelehrte auch das zweite Konzept des Iǧtihād generell ablehnten, da es auf einer weithin akzeptierten erkenntnistheoretischen Doktrin beruhte: Islamische Gesetze sollten mit Sicherheit bekannt sein, um Beweiskraft zu haben (ḥuǧǧiyya). Tatsächlich muss ein Šīʿī Jurist ihrer Ansicht nach Iǧtihād nicht anwenden, da die gesetzlichen Bestimmungen in der Šīʿī-Schule definitiv durch den Qur’ān oder die Sunna des Propheten, seiner Tochter Fāṭima und der Zwölf Imāme erreicht werden können, welche durch ihre aḥādīth (sing. ḥadīth, d.h. mündliche oder schriftliche Berichte über die Sprüche, Taten und Bestätigungen von Muḥammad, seiner Tochter Fāṭima und den Zwölf Imāmen) übertragen wurden. Spätere Šīʿī-Gelehrte standen jedoch mehreren Hindernissen gegenüber (Gleave, 2007, S. 7), wie dem Fehlen des Zwölften Imāms und den zunehmenden Bedürfnissen der Šīʿī-Gemeinschaften, die weder im Qur'ān noch in den Aḥādīth angesprochen worden waren, so fühlten sich Šīʿī-Gelehrten, dass der Imāmī-Ansatz gegenüber Iǧtihād überarbeiten werden müsste.
Der Unterschied zwischen der zweiten und dritten Bedeutung des Iǧtihād ist in der Geschichte des Šīʿī-Islam von Bedeutung (Calder, 1989), da frühe Imāmī-Gelehrte auch das zweite Konzept des Iǧtihād generell ablehnten, da es auf einer weithin akzeptierten erkenntnistheoretischen Doktrin beruhte: Islamische Gesetze sollten mit Sicherheit bekannt sein, um Beweiskraft zu haben (ḥuǧǧiyya). Tatsächlich muss ein schiitischer Jurist ihrer Ansicht nach Iǧtihād nicht anwenden, da die gesetzlichen Bestimmungen in der schiitischen Schule definitiv durch den Qur’ān oder die Sunna des Propheten, seiner Tochter Fāṭima und der Zwölf Imāme erreicht werden können, welche durch ihre aḥādīth (sing. ḥadīth, d.h. mündliche oder schriftliche Berichte über die Sprüche, Taten und Bestätigungen von Muḥammad, seiner Tochter Fāṭima und den Zwölf Imāmen) übertragen wurden. Spätere schiitische Gelehrte standen jedoch mehreren Hindernissen gegenüber (Gleave, 2007, S. 7), wie dem Fehlen des Zwölften Imāms und den zunehmenden Bedürfnissen der schiitischen Gemeinschaften, die weder im Qur'ān noch in den Aḥādīth angesprochen worden waren, so fühlten sich Šīʿī-Gelehrten, dass der Imāmī-Ansatz gegenüber Iǧtihād überarbeiten werden müsste.


== Weiterführende Literatur ==
== Weiterführende Literatur ==

Version vom 30. November 2020, 14:53 Uhr

Šīʿī-Imāmī Iǧtihād

Nach dem vorherrschenden Paradigma in der klassischen oder traditionellen Šīʿī-Wissenschaft ist die Methodik des Iǧtihād das wichtigste Instrument, um islamische Lehren oder Rechtsprechungen (al-aḥkām al-šarʿiyya, sing. al-ḥukm al-šarʿī) zu verstehen bzgl. verschiedener Thematiken, ob neu oder alt. Es sollte jedoch beachtet werden, dass es historisch gesehen mindestens drei verschiedene Analysen des Iǧtihād unter muslimischen Gelehrten gibt:

I. In der ersten Analyse wird Iǧtihād als ein Weg angesehen, sich auf die persönliche Meinung (raʾy) oder Analogie (qiyās) für jene Fälle zu stützen, die nicht durch den Qur'ān oder die Sunna abgedeckt sind (Sprüche, Taten und Bestätigungen von Muḥammad in Sunnī Islam und von Muḥammad, seiner Tochter Fāṭima und den Zwölf Imāmen im Šīʿī Islam).

II. Im zweiten Konzept wird Iǧtihād als Erschöpfung der Bemühungen der Juristen angesehen, eine ungewisse Meinung (ẓannī) zu einer islamischen Rechtsentscheidung zu erheben.

III. Schließlich betrachtet die dritte Bedeutung von Iǧtihād, die viel später (um das 18. Jahrhundert) diskutiert wurde, Iǧtihād als eine Methode, mit der muslimische Juristen islamische Gesetze definitiv erreichen oder zu Recht ableiten können (taḥṣīl oder istiḫrāǧ al-ḥuǧǧaʿalā) von zuverlässigen Quellen, d.h. der Koran, Sunna, Iǧmāʿ (Konsens) und ʿaql (rationales Denken).

Schiitische Gelehrte (al-Šarīf al-Murtaḍā, 1376H, 2: 792; al-Ṭūsī, 1376H, 2: 723–26) widerlegen die erste Analyse des Iǧtihād, da es ihrer Meinung nach mehrere unbestrittene Sunna von den Zwölf Imāms gibt, die die Beweiskraft (ḥuǧǧiyya) von Iǧtihād als persönliche Meinung oder Qiyās leugnen. Im Gegensatz dazu glauben sunnitische Gelehrte (al-Ǧaṣṣāṣ, 1414H / 1994, 4: 23, 273; Ibn Qudāmih al-Maqdasī, 1423H / 2002, 2: 333–34, 338–41) fest an dieses Konzept des Iǧtihād und verlassen sich darauf um islamische Rechtsprechung zu verschiedenen Themen zu verstehen oder abzuleiten. Mehrere sunnitische und schiitische Gelehrte (al-Āmidī, 1424H, 4: 162; al-ʿAllāma al-Ḥillī, 1421H, S. 283) akzeptieren jedoch den zweiten Begriff von Iǧtihād. Schließlich hat die große Mehrheit der schiitischen Gelehrten (al-Ḫurāsānī, 1409H, S. 463–-64) Iǧtihād nach der dritten Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert konzeptualisiert.

Der Unterschied zwischen diesen drei Konzepten von Iǧtihād ist, kurzgefasst, wie folgt: Nach dem ersten Konzept wird Iǧtihād unter anderem als Quelle für Rechtsprechung angesehen, nicht als Instrument oder Methode, um Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen abzuleiten. Tatsächlich ist dieses Konzept von Iǧtihād, das auf den persönlichen Meinungen der Juristen basiert, wirksam, wenn ein Fall nicht von anderen Quellen wie dem Qur’ān oder der Sunna abgedeckt wird. Nach dem zweiten und dritten Konzept des Iǧtihād ist es eine Methode oder ein Werkzeug, um islamische Rechtsprechung aus zuverlässigen Quellen zu extrahieren. Allerdings basiert der zweite Begriff des Iǧtihād auf einer bloßen unsicheren Meinung, was bedeutet, dass Iǧtihād ein Werkzeug ist, um unsichere Rechtsprechungen zu entdecken, die dann Beweiskraft haben würden, auf die gehandelt werden könnte. Die dritte Bedeutung des Iǧtihād hält diese Entdeckungsebene jedoch nicht für ausreichend und erfordert eine höhere Ebene, nämlich Sicherheit.

Der Unterschied zwischen der zweiten und dritten Bedeutung des Iǧtihād ist in der Geschichte des Šīʿī-Islam von Bedeutung (Calder, 1989), da frühe Imāmī-Gelehrte auch das zweite Konzept des Iǧtihād generell ablehnten, da es auf einer weithin akzeptierten erkenntnistheoretischen Doktrin beruhte: Islamische Gesetze sollten mit Sicherheit bekannt sein, um Beweiskraft zu haben (ḥuǧǧiyya). Tatsächlich muss ein schiitischer Jurist ihrer Ansicht nach Iǧtihād nicht anwenden, da die gesetzlichen Bestimmungen in der schiitischen Schule definitiv durch den Qur’ān oder die Sunna des Propheten, seiner Tochter Fāṭima und der Zwölf Imāme erreicht werden können, welche durch ihre aḥādīth (sing. ḥadīth, d.h. mündliche oder schriftliche Berichte über die Sprüche, Taten und Bestätigungen von Muḥammad, seiner Tochter Fāṭima und den Zwölf Imāmen) übertragen wurden. Spätere schiitische Gelehrte standen jedoch mehreren Hindernissen gegenüber (Gleave, 2007, S. 7), wie dem Fehlen des Zwölften Imāms und den zunehmenden Bedürfnissen der schiitischen Gemeinschaften, die weder im Qur'ān noch in den Aḥādīth angesprochen worden waren, so fühlten sich Šīʿī-Gelehrten, dass der Imāmī-Ansatz gegenüber Iǧtihād überarbeiten werden müsste.

Weiterführende Literatur

Kamali, Muhammad Hashim. (2012). Shari’ah Law: An Introduction. Oxford, UK: Oneworld Publications.

Hallaq, Wael B. (2008). A history of Islamic legal theories: An introduction to Sunnī uṣūl al-fiqh. Cambridge: Cambridge University Press.

Hallaq, Wael B. (1995). Law and legal theory in classical and medieval Islam, Aldershot, UK; Brookfield, VT: Variorum.

Khan, L. A., & Ramadan, H. M. (2014). Contemporary Ijtihad Limits and Controversies. Edinburgh: Edinburgh University Press.

Autor*innen und Quellenangaben

Dieser Artikel wurde verfasst von: Mehrdad Alipour

Quellen:

Al-Āmidī, Sayf al-Dīn Abū al-Ḥasan ʿAlī b. Muḥammad. (1424H). Al-Iḥkām fi Uṣul al-Aḥkām. ʿAbd al-Razzāq ʿAfīfī (ed.). Riyāḍ, Saudi Arabia: Dār al-Ṣamīʿī li al-Našr wa al-Tawzīʿ.

Calder, Norman. (1989). “Doubt and Prerogative: The Emergence of an Imāmī Šīʿī Theory of Iǧtihād.” Studia Islamica. No. 70, pp. 57–78.

Gleave, Robert. (2007). Scripturalist Islam: The History and Doctrines of the Aḫbārī Šīʿī School. Leiden, Netherlands: Brill.

Al-Ḥillī, ʿAllāma Ḥasan b. Yūsuf. (1421H). Tahḏīb al-Wuṣūl ilā ʿIlm al-Uṣūl. Sayyid Muḥammad Ḥusayn al-Raḍawī (ed.). London, UK: Manšūrāt al-Mū’assasa al-Imām ʿAlī.

Ibn Qudāma al-Maqdasī, Mū’affaq al-Dīn Abū Muḥammad. (1423H/2002). Rūḍāt al-Naẓir wa Ǧannāt al-Manāẓir. ‘Abd al-Karīm Namlih (ed.). Beirut, Lebanon: Mū’assasa al-Rayān li Ṭibāʿa wa al-Našr.

Al-Ǧaṣṣāṣ, Aḥmad b. ‘Alī. (1414H/1994). Al-Fuṣūl Fī al-Uṣūl. Aǧil Ǧasim (ed). Kuwait, Kuwait: Wizārat al-Awqāf.

Al-Ḫurāsānī, Muḥammad Kāẓim. (1409). Kifāyat al-Uṣūl. Qum, Iran: Mu’assasa Āl al-Bayt li Iḥyā al-Turāth.

Al-Šarīf al-Murtaḍā, Abū al-Qāsim ʿAli b. al-Ḥusayn. (1348 Š). Al-Ḏarīʿa ilā Uṣūl al-Šarīʿa. Abū al-Qāsim Gurǧī (ed.). Tehran, Iran: Intišārāt-i Dānišgāh-i Tehran.

Al-Ṭūsī, Muḥammad b. Ḥasan. (1376 Š). Al-ʿUdda fī Uṣūl al-fiqh. Muḥammad Riḍā Anṣārī (ed.). Qum, Iran: Intišārāt-i Sitārih.