Maʿrūf (das bekannte Gute): Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff ''maʿrūf'' stammt von dem arabischen Wort ''ʿirfān'', und bedeutet lexikalisch „bekannt sein, allgemein anerkannt sein“.<ref> Hans Wehr, ''Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch'', Wiesbaden: Harrassowitz, 1985, S. 832. </ref>  Im koranischen Sprachgebrauch hat es die ethisch relevante Bedeutung als das „Gute“. In der späteren ''kalām''-Tradition ist ''maʿrūf'' als Fachbegriff speziell im ersten Teil des fünften Glaubensgrundsatzes der Muʿtalizitischen Theologie wiederzufinden, nämlich „Das Gebieten des Guten und Verbieten des Verwerflichen“.<ref> Gimaret, Daniel, „Muʾtazila“.''Encyclopaedia of Islam, second edition''. Leiden: Brill, 2012, Bd. 7, S.783–793. </ref> In der Rechtstradition ist ''maʿrūf'' weniger präsent, wobei der Wortstamm ''ʿurf'' eine Rechtsquelle in der Normenderivation darstellt.  
Der Begriff ''maʿrūf'' stammt von dem arabischen Wort ''ʿirfān'', und bedeutet lexikalisch „bekannt sein, allgemein anerkannt sein“.<ref> Hans Wehr, ''Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch'', Wiesbaden: Harrassowitz, 1985, S. 832. </ref>  Im koranischen Sprachgebrauch gibt es überwiegend das Gute bzw. Bekannte wieder. In der späteren ''kalām''-Tradition ist ''maʿrūf'' als Fachbegriff speziell im ersten Teil des fünften Glaubensgrundsatzes der Muʿtalizitischen Theologie wiederzufinden, nämlich „Das Gebieten des Guten und Verbieten des Verwerflichen“.<ref> Gimaret, Daniel, „Muʾtazila“.''Encyclopaedia of Islam, second edition''. Leiden: Brill, 2012, Bd. 7, S.783–793. </ref> In der Rechtstradition ist ''maʿrūf'' weniger präsent. Häufiger anzutreffen ist dagegen ''ʿurf'', das von demselben Wortstamm ''ʿ-r-f'' wie maʿrūf stammt, aber etwas anderes wiedergibt, nämlich das Gewohnheitsrecht. ʿUrf ist etwas praktiziertes, besonders mit Expertenwissen; maʿrūf dagegen ist ein allgemein bekanntes Wissen bzw. eine solche Kenntnis über angemessene Handlungen.<ref>Reinhart, "What We Know about Maʿrūf", 63</ref>


== Koran und Hadith ==
== Koran und Hadith ==
Im Koran und Hadith wird ''maʿrūf'' benutzt, um eine gute und richtige Handlung, Meinung und Glaubensüberzeugung mit einem Begriff auszudrücken.<ref>Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, ''TDV İslam Ansiklopedisi'', Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.</ref> Rāġib al-Isfahānī definiert ''maʿrūf'' als „durch den Verstand und die Scharia für gut befunden“. <ref> al-Isfahānī, ''al-Mufradāt fī ġarīb al-Qurʾān'', Beirut: Dār al-qalam, 1412/1991, S. 521. </ref> Es kommen im Koran in Versen das Wort ''maʿrūf'' vor. Reinhart subsumiert die Verse in drei Bedeutungskontexte: 1) Das Befehlen des Guten 2) Güte, Freundlichkeit, 3) Das richtige Handeln in komplexen Situationen.<ref>Reinhart, A. Kevin, „''What We Know about Maʿrūf''“, in ''Journal of Islamic ethics'' ''1''/''1–2'' : 2017, 71–80.</ref>  
Im Koran und Hadith wird ''maʿrūf'' benutzt, um eine gute und richtige Handlung, Meinung und Glaubensüberzeugung mit einem Begriff auszudrücken.<ref>Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, ''TDV İslam Ansiklopedisi'', Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.</ref> Ar-Rāġib al-Iṣfahānī (gest. erstes Viertel 5./11. Jahrhundert) definiert ''maʿrūf'' als „durch den Verstand und die Scharia für gut befunden“. <ref> al-Isfahānī, ''al-Mufradāt fī ġarīb al-Qurʾān'', Beirut: Dār al-qalam, 1412/1991, S. 521. </ref> ''Maʿrūf'' kommt in dieser Form im Koran oft vor, wird aber nicht endgültig definiert. Kevin Reinhart fasst die Verse, in denen ''maʿrūf'' vorkommt, in drei Bedeutungskontexte zusammen: 1) Das Befehlen des Guten 2) Güte und Freundlichkeit, 3) Das richtige Handeln in komplexen Situationen.<ref>Reinhart, A. Kevin, „''What We Know about Maʿrūf''“, in ''Journal of Islamic ethics'' ''1''/''1–2'' : 2017, 71–80.</ref>  


== Hadithwissenschaft ==
In der Hadithwissenschaft wird ''maʿrūf'' als ein Fachterminus für die Einstufung der Authentizität eines Hadith benutzt. Es wird auch als ein Synonym für ṣaḥīḥ (gesund) gebraucht, mit der die Vertrauenswürdigkeit eines Hadith ausgedrückt werden soll. Als ein ''maʿrūf-''Hadith bezeichnet man auch eine Überlieferung, mit der ein vertrauenswürdiger Tradent einem schwachen Tradenten widerspricht. Die Überlieferung des schwachen Tradenten wird als ''munkar'' bezeichnet, dass gleichzeitig das Antonym von ''maʿrūf'' ist.<ref>Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, ''TDV İslam Ansiklopedisi'', Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.</ref>
In der Hadithwissenschaft wird ''maʿrūf'' als ein Fachterminus für die Einstufung der Authentizität eines Hadith benutzt. Es wird auch als ein Synonym für ṣaḥīḥ (gesund) gebraucht, mit der die Vertrauenswürdigkeit eines Hadith ausgedrückt werden soll. Als ein ''maʿrūf-''Hadith bezeichnet man auch eine Überlieferung, mit der ein vertrauenswürdiger Tradent einem schwachen Tradenten widerspricht. Die Überlieferung des schwachen Tradenten wird als ''munkar'' bezeichnet, dass gleichzeitig das Antonym von ''maʿrūf'' ist.<ref>Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, ''TDV İslam Ansiklopedisi'', Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.</ref>



Version vom 6. Dezember 2021, 18:26 Uhr

Der Begriff maʿrūf stammt von dem arabischen Wort ʿirfān, und bedeutet lexikalisch „bekannt sein, allgemein anerkannt sein“.[1] Im koranischen Sprachgebrauch gibt es überwiegend das Gute bzw. Bekannte wieder. In der späteren kalām-Tradition ist maʿrūf als Fachbegriff speziell im ersten Teil des fünften Glaubensgrundsatzes der Muʿtalizitischen Theologie wiederzufinden, nämlich „Das Gebieten des Guten und Verbieten des Verwerflichen“.[2] In der Rechtstradition ist maʿrūf weniger präsent. Häufiger anzutreffen ist dagegen ʿurf, das von demselben Wortstamm ʿ-r-f wie maʿrūf stammt, aber etwas anderes wiedergibt, nämlich das Gewohnheitsrecht. ʿUrf ist etwas praktiziertes, besonders mit Expertenwissen; maʿrūf dagegen ist ein allgemein bekanntes Wissen bzw. eine solche Kenntnis über angemessene Handlungen.[3]

Koran und Hadith

Im Koran und Hadith wird maʿrūf benutzt, um eine gute und richtige Handlung, Meinung und Glaubensüberzeugung mit einem Begriff auszudrücken.[4] Ar-Rāġib al-Iṣfahānī (gest. erstes Viertel 5./11. Jahrhundert) definiert maʿrūf als „durch den Verstand und die Scharia für gut befunden“. [5] Maʿrūf kommt in dieser Form im Koran oft vor, wird aber nicht endgültig definiert. Kevin Reinhart fasst die Verse, in denen maʿrūf vorkommt, in drei Bedeutungskontexte zusammen: 1) Das Befehlen des Guten 2) Güte und Freundlichkeit, 3) Das richtige Handeln in komplexen Situationen.[6]

Hadithwissenschaft

In der Hadithwissenschaft wird maʿrūf als ein Fachterminus für die Einstufung der Authentizität eines Hadith benutzt. Es wird auch als ein Synonym für ṣaḥīḥ (gesund) gebraucht, mit der die Vertrauenswürdigkeit eines Hadith ausgedrückt werden soll. Als ein maʿrūf-Hadith bezeichnet man auch eine Überlieferung, mit der ein vertrauenswürdiger Tradent einem schwachen Tradenten widerspricht. Die Überlieferung des schwachen Tradenten wird als munkar bezeichnet, dass gleichzeitig das Antonym von maʿrūf ist.[7]

Adab-Literatur

Māwardī behandelt diesen Begriff detailliert in seinem Werk Adab ad-dunyā wa-d-dīn. Dabei ordnet er neben aṣ-ṣila das maʿrūf als zweite Art des al-birr ein. Al-birr sei das fünfte Mittel (sabab) zur Erlangung von al-ʾulfa (Liebe und Harmonie). [8] Aṣ-ṣila definiert Mawardī als „das Spenden, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.“[9] Maʿrūf wird in zwei Arten unterteilt; al-maʿrūf al-qawlī wird als gute Rede und Liebe mit schönen Worten definiert. Dieses liege dem guten Charakter und der Natur des Menschen zugrunde.[10] Als al-maʿrūf al-ʿamalī wird die praktische Art bezeichnet. Māwardī erklärt diesen Begriff als „die Hilfe und das Einsetzen für den anderen.“ Dies liege dem Wunsch des Besten für die Menschheit und der Opferbereitschaft für das Wohl des Nächsten zugrunde.[11]

Weiterführende Literatur

  • Reinhart, A. Kevin, „What We Know about Maʿrūf“, in: Journal of Islamic ethics 1/1–2 (2017), 51–82.
  • Cook, Michael, Commanding right and forbidding wrong in Islamic thought, Cambridge: Cambridge University Press 2010.
  • Izutsu, Toshihiko: Ehtico-Religious Concepts in the Qurʾān, London: McGill-Queen’s University Press 2002.

Autor*innen und Quellenangaben

Dieser Artikel wurde verfasst von: Bahattin Akyol.


Quellen:

  1. Hans Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch, Wiesbaden: Harrassowitz, 1985, S. 832.
  2. Gimaret, Daniel, „Muʾtazila“.Encyclopaedia of Islam, second edition. Leiden: Brill, 2012, Bd. 7, S.783–793.
  3. Reinhart, "What We Know about Maʿrūf", 63
  4. Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, TDV İslam Ansiklopedisi, Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.
  5. al-Isfahānī, al-Mufradāt fī ġarīb al-Qurʾān, Beirut: Dār al-qalam, 1412/1991, S. 521.
  6. Reinhart, A. Kevin, „What We Know about Maʿrūf“, in Journal of Islamic ethics 1/1–2 : 2017, 71–80.
  7. Efendioğlu, Mehmet, „Ma‘rûf“, TDV İslam Ansiklopedisi, Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003.
  8. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013, S. 294.
  9. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 294.
  10. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 322.
  11. al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 323.