Ulfa (Verbundenheit)

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Der Begriff ulfa stammt aus dem arabischen Wort ʾilf[1] und hat die Bedeutungen Verbundenheit, Vertraulichkeit, Liebe und Harmonie.[2]  Im koranischen Sprachgebrauch wird es insbesondere für die Verbundenheit der Herzen gebraucht (Sure 9:60).[3] Im islamrechtlichen Kontext ist ulfa unter dem Begriff „muʾallafat al-qulūb“ zu finden. Diese ist eine im Koran (Sure 3:103; 8:63) vorgesehene Gruppe, an die Almosensteuer zu entrichten ist (maṣārif az-zakāt). Damit sind Nichtmuslime gemeint, die durch die Almosensteuerabgabe seitens der Muslime eine Sympathie gegenüber dem Islam empfinden sollen.[4] In der adab-Literatur ist der Begriff ulfa, allgemein als die Verbundenheit des Einzelnen mit dem Nächsten vorzufinden.[5]

Koran und Hadith

Im Koran ist zu erkennen, dass Gott der "ulfa-Schaffende" ist: Er verbindet die Herzen der Menschen. In zwei Versen wird die soziale und moralische Bedeutung der ulfa erwähnt. Der Vers Q 3:103 bezieht sich auf die Versöhnung der beiden Stämme Aws und Ḫazraǧ durch den Propheten. Die jahrelange Feindschaft und Zwietracht zwischen diesen beiden arabischen Stämmen führte durch ein neues Bündnis zur Brüderlichkeit und Freundschaft. Im zweiten Vers Q 8:63 wird der Prophet vertröstet, dass auch wenn er alles Vermögen der Welt ausgegeben hätte, er die Verbundenheit zwischen den Herzen der Menschen nicht schaffen könne und dies nur Gott allein obliege.

Es gibt nur wenige Überlieferungen in denen der Begriff ʾulfa gebraucht wird. In einer beschreibt der Prophet Muhammad den Gläubigen, als denjenigen, der sich zu anderen verbunden fühlt und zu dem sich andere verbunden fühlen.[6] Wie in den vielen Koranversen wird in den Hadithen die seelische Verbundenheit der Muslime untereinander betont.[7] Die durch Gott geschaffen Verbundenheit gilt als die Lösung für die Zwietracht, welche insbesondere zwischen den Stämmen herrschte. Alte Vorstellungen von Verbundenheit der Araber werden aufgebrochen. Durch die Religion wird die allein durch die Stammeszugehörigkeit bestehende Verbundenheit auf einer höhere Ebene der Religionsverbundenheit erhoben. Dadurch lässt sich auch die prophetische Definition des Gläubigen besser erklären.

Adab-Literatur

Abū l-Ḥasan al-Māwardī (gest. 450/1058) definiert den Begriff ulfa in seinem adab-Werk nicht. Denn im jeweiligen Kapitel seines Werks gewinnt der Begriff verschiedene Bedeutungen. Ulfa kann im Kontext der Bedingung für das Wohlergehen des Einzelnen in der Welt als „Verbundenheit“, „Harmonie“ oder „Zuneigung“ bedeuten. Diese wird als eine „vereinende“ (ǧāmiʿa) bezeichnet. Damit meint al-Māwardī das harmonische Verhältnis oder die Verbundenheit des Einzelnen mit dem Nächsten, die zur Vereinigung der Gesellschaft führt.  Der Mensch sei der Gefahr von Neidern oder Feinden ausgesetzt, die ihm sein Wohlleben nicht gönnen würden und ihn das Leben erschweren. Um dies zu verhindern, solle der Mensch sich den Menschen zuneigen (ālif) und anderen diesbezüglich offen (maʿlūf) sein.[8] Al-Māwardī betrachtet ulfa auch aus einer präventivethischen Perspektive. Durch die gegenseitige Verbundenheit soll eine Harmonie in der Gesellschaft entstehen, in der das Wohlergehen des Einzelnen gewährleistet wird.

Es bestehen insgesamt fünf Ursachen (asbāb) für die Entstehung der Verbundenheit: Die Religion (dīn), Blutsverwandtschaft (nasab), Schwägerschaft (muṣāhara), Verbrüderung durch Liebe (muʾāḫāt bi-l-mawadda) und die gute Handlung (birr).[9]

Das Konzept der ulfa macht einen wesentlichen Teil des Konzept des Wohlergehens (ṣalāḥ) aus. Dieses entwickelt al-Māwardī in einer Dichotomie des Wohlergehens der Welt und des Menschen. Das Verständnis des Wohlergehens beruht auf der Vorstellung, dass es dem Menschen bzw. dem Einzelnen nur Wohlergehen kann, wenn zuvor das Wohlergehen der Welt gewährleistet ist. Es besteht eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit.[10] Das Wohlergehen des Menschen in der Welt (qawāʿid ṣalāḥ al-insān fī-d-dunyā) wird durch drei Regeln bzw. Bedingungen gewährleistet.[11] Die ulfa (Verbundenheit) ist neben der gehorsamen Seele (an-nafs al-muṭīʿa) und dem ausreichenden Besitz (al-mādda al-kāfiya), die zweite Bedingung für das Wohlergehen des Menschen in der Welt.

Literatur

Quellenangaben

Al-Māwardī. Adab ad-dīn wa-d-dunyā. Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013.

Kallek, Cengiz. „Müellefe-i Kulûb“. TDV İslam Ansiklopedisi. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2006.

Rāġib al-Isfahānī. al-Mufradāt fī ġarīb al-Qurʾān. Beirut: Dār al-qalam, 1412/1991.

Ed. as-Saqqāf, Mawsūʿat al-aḫlāq, o.O.: Durar as-saniyya ?.

Wehr, Hans. Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch. Wiesbaden: Harrassowitz, 1985.

Weiterführende Literatur

  • Majid Fakhry, Ethical theories in Islam, Leiden: Brill 1994.
Ursachen von Verbundenheit.png

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Bahattin Akyol.

  1. Al-Isfahānī, al-Mufradāt fī ġarīb al-Qurʾān, 81.
  2. Wehr, Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart. Arabisch–Deutsch, 35.
  3. al-Isfahānī, al-Mufradāt, 81.
  4. Kallek, „Müellefe-i Kulûb“.
  5. Siehe Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 238.
  6. Ibn Abī Šayba, Muṣannaf, Kitāb az-Zuhd, Kalām Ibn Masʿūd, Hadith Nr. 34544.
  7. Ed. as-Saqqāf, Mawsūʿat al-aḫlāq, I, 103-105.
  8. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 238.
  9. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 239.
  10. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 215.
  11. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 237.