Nahy (Untersagung, Verbieten)

Aus Wege zu einer Ethik

(Weitergeleitet von Verbieten)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Der Begriff nahy wird mit "Untersagung" oder "Verbieten"[1] übersetzt. Im Bereich des islamischen Rechts stellt der Begriff nahy einen Gegensatz zum Begriff amr dar, der unter anderem als "Imperativ" oder "Befehl" übersetzt wird.

Koran und Hadith

In verschiedenen Versen verwendet der Koran den Begriff nahy und seine Ableitungen, wie yanhā, tanhā, yanhawna, die oft mit Verbot, verboten oder Verhinderung übersetzt werden.[2] Auch in der Hadith-Literatur werden der Begriff nahy sowie verschiedene prohibitive Formen von Verben häufig verwendet. Muslimische Gelehrte verstehen sie meist derart, dass sie sich entweder auf verbotene (ḥarām) Handlungen oder auf verpönte (makrūh) Verhaltensweisen beziehen.[3]

Adab

In der Adab-Literatur ist das Verbieten in zwei Kontexten wiederzufinden; Die Verantwortung wird durch das Verbieten rational (ʿaqlan) und durch die Offenbarung (samʿan) verfestigt. Die durch die Offenbarung verbotenen Dinge (muḥarramāt) sind in zwei Gruppen zu unterteilen: 1. Die Dinge, welches die Triebe herbeirufen wie das Trinken von Wein. 2. Die Dinge, die die Triebe abweisen wie der Verzehr von Dreck. Diese Gruppen werden auch unter der Bezeichnung manhīyāt (die Verbotenen) subsumiert.[4] Um die göttlichen Verbote zu unterstützen wird das koranische Prinzip des "Gebieten des Guten und Verbieten des Verwerflichen" befohlen. Durch das Verbieten des Verwerflichen entsteht in den adab-Werken die erkenntnistheoretische Diskussion um die Verpflichtung. Māwardī vertieft diese Diskussion, indem er der Frage nachgeht, ob diese Verpflichtung auf der Vernunft oder Offenbarung basiert. Er stellt die Positionen gegenüber und stellt die Argumente dar.[5]

Islamische Rechtstheorie

Nahy in der sunnitischen Rechtstheorie

Die zentrale Frage bei an-nahy ist, ob an-nahy ein Verbot oder nur eine Abneigung impliziert. Wenn es ein Verbot impliziert, dann bedeutet das, dass die ausgeführte Handlung böse (qabīḥ) ist. Aus diesem Grund wäre die Ausübung einer verbotenen Handlung sündhaft und deshalb unethisch. Als Folge daraus müsste vermieden werden. Wenn an-nahy nur eine Abneigung impliziert, dann wird eine solche Handlung nicht als sündig angesehen, es ist jedoch besser, diese Handlung nicht auszuführen.

Der ašʿarītische Gelehrte Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. as-Samʿānī (gest. 489/1095) setzt sich in seinem Werk Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl ausführlich mit dem Begriff des nahy auseinander. Er definiert nahy – die Untersagung – als "das Verlangen der Unterlassung der Handlung durch die Äußerung an denjenigen, der hierarchisch unter demjenigen stehe, der das Unterlassen der Handlung verlange. [6]Dies geschehe durch einen verneinten Imperativ, so as-Samʿānī.[7]

As-Samʿānī ist der Meinung, dass alleine die Formulierung (ṣīġa) der Untersagung für das Verbot (taḥrīm) notwendig sei.[8] So bedeute also alleine die Formulierung einer Untersagung ein Verbot. Die Ansicht as-Samʿānīs steht im Gegensatz zur muʿtazilitischen Vorstellung, bei der ein Beweis bzw. ein Hinweis (dalīl, pl. adilla) für die Forderung eines Verbots benötigt wird und bei der der Beweis bzw. der Hinweis für ein Verbot entscheidend ist.[9]

As-Samʿānī schreibt, die Äußerung einer Person mit den Worten "Mach das nicht!" an eine andere Person gewiss die Forderung der Unterlassung der Handlung verlange, ebenso wie die Äußerung einer Person mit den Worten "Mach das!" gewiss die Forderung der Handlung verlange.[10] As-Samʿānī zufolge ist die Aufforderung, eine Handlung zu vollziehen, als Verpflichtung (īǧāb) einzuordnen, wie er bereits in seiner Diskussion zu dem Begriff des Imperativs (amr) darstellte. Und so verlange die Forderung der Unterlassung der Handlung das Verbot.[11]

Als ein Beispiel für die Legitimität dieser Meinung weist as-Samʿānī auf das Verhältnis von einem Sklaven zu seinem Herrn hin: Wenn ein Herr seinem Sklaven befehle, etwas nicht zu tun, der Sklave diese Handlung aber dennoch ausführe, so verdiene der Sklave Missbilligung (ḏamm) und Tadel (tawbīḫ). Hätte der Herr jedoch kein Verbot gemeint, hätte der Sklave für seine Handlung keinen Tadel und keine Missbilligung zu befürchten.[12]

Nahy in der schiitischen Rechtstheorie

Der Begriff nahy wird in schiitischen Quellen ähnlich wie in sunnitischen Quellen definiert. Es gibt Textstellen aus dem Koran und der Sunna, die mit Derivaten des nahy Verbote ausdrücken. Wie oben genannt, ist die Hauptdiskussion im Rahmen von nahy, ob Verbotsformen auf ein Verbot, also auf ḥarām schließen lassen, oder ob die Folge daraus nur karāha, also das Verpönt-Sein einer Handlung ist.[13] In der schiitischen Rechtstheorie gibt es zu dieser Frage zwei verschiedene Ansätze. Erstens vertreten Gelehrte[14], dass die wörtliche oder wirkliche (ḥaqīqī) Bedeutung der Verbotsform weder Verbot noch das Verpönt-Sein ist, sondern nur die Aufforderung, eine bestimmte Handlung oder ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen. Somit sind sowohl Verbot als auch Abneigung die bildlichen Implikationen der Verbotsformen. Die zweite Sichtweise ist der Standardansatz der zeitgenössischen schiitischen Rechtstheorie[15], nach der die Verbotsform im wirklichen Sinne auf ein Verbot hindeutet. Jede weitere Deutung, wie etwa, dass eine Handlung nicht verboten, sondern nur verpönt ist, käme der Verwendung eines nahy im übertragenen Sinne (also in Form von maǧāz) gleich. Entsprechend werden für solch eine Deutung weitere Beweise und Indizien vorausgesetzt.

Literatur

Quellenangaben

  • Bābakr, Aḥmad Ibrāhīm und Ḥamad, Muḥammad ʿAlī. "Uslūb al-Nahy wa Dilālatuhu fi al-Ḥadīṯ al-Šarīf". Maǧalla al-ʿUlūm wa al-Buḥūṯ al-Islāmiyya. 20(1), 2019, S. 49-50.
  • Al-H̱urāsānī, Muḥammad Kāẓim. Kifāyat al-Uṣūl. Qum, Iran: Mu’assasa Āl al-Bayt li Iḥyā al-Turāṯ, 1988-9/1409H.
  • Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, Beirut: Dār al-minhāǧ, 1434/2013.
  • Al-Muẓaffar, Muḥammad Riḍā. Usūl al-Fiqh. Qum, Iran: Maktabat al-Aʿlām al-Islāmi, 1994-5/1373Sh.
  • As-Samʿānī, Abū l-Muẓaffar Manṣūr b. Muḥammad b. Qawāṭiʿ al-adilla fī l-uṣūl, Hg. Dr. Nāǧī as-Sawīd. Libanon: Al-Maktaba al-ʿAṣrīya, 2011.
  • Al-Ṭūsī, Muḥammad b. Ḥasan. Al-ʿUdda fī Uṣūl al-fiqh. Muḥammad Riḍā Anṣārī (ed.). Qum, Iran: Intishārāt-i Sitārih, 1997-8/1376Sh.

Weiterführende Literatur

  • Al-Ṣadr, Muḥammad Bāqir. Durūs fī ʿIlm al-Uṣūl (Lessons in Islamic Jurisprudence, Vol. 1). Trans. Roy Mottahedeh. Oxford, UK: Oneworld Publications, 2003 (pp. 80-86).
  • Kamali, Muhammad Hashim. Principles of Islamic jurisprudence (Chap. 6). London, UK: The Islamic Texts Society, 2011.
  • Kurnaz, Serdar. Methoden zur Normderivation im islamischen Recht. Frankfurt: EB-Verlag, 2016.
  • Cook, Michael. Commanding the right and forbidding the wrong in Islamic thought. Cambridge: Cambridge University Press, 2006.
  • Weiss, Bernard. The Search for God's Law: Islamic Jurisprudence in the Writings of Sayf al-Din al-Amidi. Utah: University of Utah Press, 2010.

Autor*innen und Referenzen

Dieser Artikel wurde verfasst von: Selma Schwarz und Mehrdad Alipour

  1. In diesem Artikel wird für den Begriff nahy "Untersagung" als Übersetzung genutzt.
  2. Siehe beispielsweise Q. 3:104, 110, 114; 6:56; 16:90; 29:45; 40:66; 79:40; 96:9. Siehe die englische Übersetzung der relevanten Verse in Qarib, Sarwar, Shakir, Pickthall, and Yusufali: http://www.parsquran.com/data/showall.php?sura=1&ayat=1&user=far&lang=eng.
  3. Siehe Bābakr, Aḥmad Ibrāhīm and Ḥamad, Muḥammad ʿAlī. “Uslūb al-Nahy wa Dilālatuhu fi al-Ḥadīṯ al-Šarīf”. Maǧalla al-ʿUlūm wa al-Buḥūṯ al-Islāmiyya. 20(1), 2019, pp. 49-50.
  4. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 156.
  5. Al-Māwardī, Adab ad-dīn wa-d-dunyā, 157f.
  6. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ , S. 100: Ḥaqīqati n-nahy fa-huwa stidʿāʾu l-fiʿli bi-l-qawli mimman huwa dūnahu.
  7. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Huwa qawlu l-qāʾili li-ġayrihi: lā tafʿal.
  8. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Wa-ṣīġatu n-nahy muqtaḍīyatu li-l-taḥrīmi.
  9. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100.
  10. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Lā tafʿal yaqtaḍī ṭalaba tarki l-fiʿli lā maḥālata [...] ifʿal yaqtaḍī ṭalaba l-fiʿli lā maḥālata.
  11. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100: Fa-ṭalabu tarki l-fiʿli lā maḥālata yaqtaḍī taḥrīma.
  12. Siehe as-Samʿānī, Qawāṭiʿ, S. 100.
  13. Al-H̱urāsānī, Kifāyat al-Uṣūl, S. 149.
  14. Al-Ṭūsī, Al-ʿUdda fī Uṣūl al-fiqh, S. 256.
  15. Al-Muẓaffar, Usūl al-Fiqh. S. 149.